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Thomas Felder
Stöffelburgstraße 2 72770 Reutlingen fon/fax: 07072-3120
An Frau Staatsrätin Gisela Erler Richard-Wagner-Straße 15 70184 Stuttgart
Musik&Wort

Reutlingen, den 10. Juni 2015

Sehr geehrte Frau Erler,

es war mir eine Freude, letzten Freitag von Ihnen zu erfahren, dass Sie die Frau sind, die Walter Moßmann verlegt hat – traurig zugleich das Datum: Es war wohl der Tag seiner Beisetzung im engsten Familienkreis. Walter war mir ein guter Freund. Als er vor wenigen Jahren gebeten wurde auf einer Stuttgarter Ausstellung zu Gorleben seinen »Lebensvogel« zu singen (der Veranstalter wusste nichts von seinem Krebsleiden), da beauftragte mich Walter mit einer Neuinterpretation des Lieds mit den Worten: »Thomas, Du bist der einzige, dem ich so etwas zutraue.« Es war die Zeit der ersten Montagsdemonstrationen gegen Stuttgart21, damals noch auf dem Vorplatz am Bahnhofs- Nordflügel. Aus seinem Hotelzimmer im »Graf Zeppelin« konnten wir das Terrain überblicken, und Walter prophezeite: »Da braucht Ihr einen langen Atem. Ihr habt es mit der Mafia zu tun!«

In ähnlichem Sinne sprach damals auch Cem Özdemir, der nach mir auf die Holzkiste stieg. Für Winfried Kretschmann und Winnie Hermann hatten wir dann schon eine größere Bühne. Uns allen war klar: S21 ist eine soziale Katastrophe, an Dummheit kaum zu überbieten, verfassungswidrig finanziert etc.etc. Zur grünen Partei hatte ich ein besonders inniges Verhältnis, durfte ich doch 1980 die Wahlkampflokomotive sein mit meinem Gesang, im wahrsten Sinne des Wortes das Zünglein für die entscheidenden 0,3 Prozent. Am 10. März trafen wir uns zum »Endspurt« im Gustav-Siegle- Haus. Antje Vollmer war dabei, Elsbeth Mordo... Kretschmann noch kaum bekannt. Kurz zuvor hatte Walter Moßmann im gleichen Saal sein schönstes Album aufgenommen: »Frühlingsanfang«.

Alte Geschichten – jetzt aber zum Kirchentag: Für mich war es das erste Mal, in öffentlicher Rede einer Staatsrätin gegenüber zu stehen – der Kirchentag hat es ermöglicht. Vielleicht gibt es ja die Chance den Dialog weiterzuführen. Unter Dialog verstehe ich allerdings einen Austausch auf Augenhöhe mit offenem Ausgang, der Wahrheit verpflichtet.

Was auf den Fildern als Dialog verkauft wurde, kann ich – rückblickend – nur sarkastisch als »Vergangenheitsform von Dialüg« bezeichnen. Hier wurden Bürger beteiligt, indem man sie per Zufallsgenerator an den Haaren herbei zog. Man verschwieg ihnen die Tatsache, dass die Deutsche Bahn AG seit damals zehn Jahren unreife Pläne für den Filderabschnitt eingereicht hatte. Es gab noch kein Planfeststellungsverfahren, geschweige denn ein Baurecht. Worüber sollte also gespro- chen werden – und mit welch inkompetenten Partnern? Ein Fachmann wie Karl Dieter Bodack wurde gar nicht erst bestellt. Die ganze Inszenierung entpuppte sich als scheindemokratisches Theaterstück, dessen Ausgang vorher bereits fest stand.

Was Ihre derzeitige Arbeit betrifft, so sprechen Sie gern über »Befriedung«, die Sie von Amts wegen schaffen. Mir persönlich kommt es eher vor wie eine Friedhofsruhe, die sich in unserem Lande ausgebreitet hat seit der so genannten Volksabstimmung – einem uns folgenschwer von oben herab aufgezwungenen Schmierentheater. Es ist einer Demokratie unwürdig, wenn man die Bürger derart belügt, wenn man ihnen Sand in die Augen streut, ihnen entscheidende Tatsachen vorenthält, sie schlicht hinters Licht führt, besonders klar zu erkennen am so genannten Kostendeckel und an der Leistungslüge. Nachdem der Schwindel nun aufgeflogen ist, bleibt von der Legitimierungs- funktion dieser VA nur noch Schall und Rauch. Das Projekt weiterhin damit zu rechtfertigen, ist der große demokratische Sündenfall der Grünen. Nun mutiert in Ihrem Munde diese »Volks-Abstimmung« auch noch zum »Volks-Entscheid« – als ob da über irgend etwas entschieden worden wäre.

Die Landesabstimmungsleiterin, Frau Christiane Friedrich erklärte am 13. 2. 2012:
»Gegenstand der Volksabstimmung war ausschließlich das S21-Kündigungsgesetz... Anders lautende Medienberichte sind rechtlich irrelevant. Nachdem die Gesetzesvorlage die erforderliche Stimmenmehrheit nicht erreicht hat, hat sich insoweit auch keine Änderung der Rechtslage ergeben.«

Eine derart missglückte Veranstaltung, deren Grundlagen weggebrochen sind, durch plumpe Sprachmanipulation zu einem »Volks-Entscheid« hochzustilisieren ist reine Propaganda zum Schaden der Demokratie. Der fälschliche Begriff suggeriert nämlich, das Volk habe über ein Gesetz oder gar über das Bauprojekt selbst entschieden, was definitiv nicht stimmt. Mit so einer Wortfälschung stellen Sie geltendes Recht und Gesetz in den Schatten einer neuen »Lex S21«.

Weiterhin bleibt aber die Mischfinanzierung verfassungswidrig, Gefälle und Brandschutz kriminell, Verkehrsleistung und Wirtschaftlichkeit im gesetzwidrigen Negativbereich, die alten Gleise bleiben dem Bahnverkehr gewidmet etc. Nur: Sie ignorieren diese Wahrheit wegen einer Mehrheit, die sich angeblich dagegen entschieden habe. Auch Herr MP Kretschmann wirkt nicht glaubwürdiger, wenn er die Binsenweisheit gebetsmühlenartig wiederholt: »In der Demokratie entscheidet die Mehrheit und nicht die Wahrheit«. Er sollte lieber der Wahrheit zum Recht verhelfen, wie er es vor seiner Wahl versucht hat. Aber nein, er verrät seinen eigenen Standpunkt als oberster Diener des Volkes und verrichtet untertänigst Lakaiendienste für die Mächtigen – hier nur drei Beispiele:

1. Sein Kniefall vor einem grinsenden Technikvorstand der Deutschen Bahn AG. Dieser hatte einen so genannten Stress-Test in Auftrag gegeben, aus dem jedoch gerade die Stress-Faktoren trickreich herausgerechnet wurden. Kretschmann wusste von dieser Manipulation. Er wusste auch so gut wie Oberstaatsanwalt Häussler, dass der geplante Schiefbahnhof für einen Maximalverkehr von 32-35 Zügen pro Stunde ausgelegt ist. Dennoch überschlug sich der Ministerpräsident in vorauseilendem Gehorsam gegenüber Volker Kefer mit den Worten »Wir akzeptieren den Stresstest« noch bevor dieser amtlich bekannt gemacht war.

2. Seine geschmacklose Pose vor der Tunnelbohrmaschine. Einen größeren »Stinkefinger« konnte er mir als seinem ehemaligen Lehrerkollegen, Mitstreiter und Wähler wohl kaum entgegenstrecken. Hier zeigte der Ministerpräsident endgültig, wess' Herren Knecht er inzwischen geworden war.

3. Sein Bekenntnis zum Freihandelsabkommen TTIP, das kein anderes Ziel verfolgt, als den Raubbau an Mensch und Natur, den Ausverkauf demokratischer Errungenschaften unumkehrbar gesetzlich festzuschreiben anstatt diejenigen zu belohnen, die des Lebens Werte hegen und pflegen.

Sehr geehrte Frau Erler, jetzt habe ich viel abgeladen von meinem Erlebten, von meiner Sicht der Dinge, in der Hoffnung, dass vielleicht etwas davon auch bei Ihnen im Staatsrat oben ankommt. Wir haben keine Zeit mehr mit den gegenwärtig Wirtschafts-Mächtigen herumzubuhlen, bloß damit die »Wachstums-Spirale« sich weiter dem Abgrund zu dreht. Beteiligen Sie sich als Regierende an Alternativen, die unseren Enkeln ein würdevolles Leben ermöglichen. Dann kommen die Bürger ganz von alleine auf Sie zu, um sich aus freiem Willen aktiv an Ihrer Politik zu beteiligen statt nur als Objekte passiv beteiligt zu werden. Dann haben Sie vielleicht sogar wieder Lust darauf Liedermacher zu verlegen – Kostprobe anbei.

Mit herzlichem Gruß Thomas Felder
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