10 Jahre Widerstand, Theaterhaus am 8.10. 2019

Timo Brunke


Das Puzzle

10 Jahre Montagsdemo in Stuttgart für den Erhalt des Kopfbahnhofs,
eine Chronik



1

Vor hunderttausend Jahren ein Felsen im Anhydrit
im Dunkeln steht und lauscht er - ist's ein Mammut-, ein Menschenschritt?

Um 945 nach Christi Geburt:
der Stutengarten im Talkessel samt der Nesenbachfurt.


1495,
Eberhard im Barte
springt vom Pferd, bittet zu Tisch - und es kracht die Schwarte!

Stuttgarter Stäffele, raschelnde Blätter - und aus dem Tal
dringt hell und munter manches Dampfloksignal...

Der Orientexpress hält auf Gleis acht für vier Minuten;
der Schaffner zu zwei Reisenden ruft: "S'langet! No ned hudle!"

1945, weh, Stuttgart liegt in Trümmern,
der Bonatzbau steht unversehrt - ich wollt' nur dran erinnern.

Der Arnulf-Klett-Platz wird in den Untergrund verlegt -
der Autoverkehr in Stuttgart entwickelt sich gehegt, gepflegt.

Und schau, seit gestern dreht sich - man sieht ihn von fern -
auf unserm Bahnhofsturm: ein großer Mercedes-Stern...

1991
Ein Interregio mit flatternden Gardinen
bei offenen Fenstern, da rattern so schön die Schienen...

Vom Gleisgebirge abwärts und wieder hinauf -
Züge neben Zügen, in geschmeidigem Takt und Schienenlauf.

1993
Ein Hubschrauber fliegt über Stuttgarts Kessel,
drin sitzen Teufel, Rommel, Dürr, äußerlich wie innerlich in Fesseln:
Die Gleisfläche - "Des däd an prima Baugrond geba!" -
"Dia schönschde Grondstückle!" - "Ond der Park glei daneba!"

1994 Die 21-Promoter sitzen beisammen wie im Western:
die bisherige Rolle des Staates sei von gestern,
Stuttgart als Stadt soll sich ganz anders geben -
ab jetzt heißt Stuttgart "Standortvorteil zwischen Wald und Reben"!

Der Bund macht aus der Bundesbahn eine Aktiengesellschaft:
"Da könnt ihr mit Geld spielen und wie man es aus der Welt schafft!"
Papa Bund schenkt der "Bahn-AG" die Gleisflächen zum Profitieren;
die Bahn-AG bedankt sich, wird nicht viel Zeit verlieren:

1995 Die Machbarkeitsstudie disst den Kopfbahnhof
"Wer heute noch mit Kopf fährt, Punkt, der ist einfach doof."

Im Mai in Cannes am Mittelmeer auf der Immobilienmesse -
S21-Prospekte - für Baulöwen von Interesse?

Die lauen Lüftchen am Kesselausgang werden im Wehen stutzig:
"Wir sollen gestaut werden? Dann wird die Stadt doch schneller schmutzig..."

Dreißigster November Die "Leben in Stuttgart - Kein Stuttgart 21" gründet sich. -
und abertausend Mitstreiterinnen, Gefährten - Kopf hoch, die finden sich!

1996 15.000 Unterschriften für einen Bürgerentscheid -
Die Stadtväter und -mütter umweht eine neue Zeit...

1997 Ingenhoven und Frei Otto gewinnen den Haltestellen-Wettbewerb:
Otto zu sich: "ob ich die Glasaugen noch sehe, bevor ich sterb...?"

1999
Bahnchef Ludewig drückt auf die S21-Bremse und sie kreischt -
"So kommen wir nie an die Börse, weißt du, was das heißt!?"

Dezember: Rot-Grün setzt Mehdorn, Hartmut als neuen Bahnchef ein:
"Hartmut, mit dir wollen wir uns auf Bahn an der Börse freun!"

2001 im Dezember: "Gleisgrundstücke, frische Gleisgrundstücke, Chance für Äonen!"
Die Stadt kauft sie für'n Spielgeld: schlappe 500 Millionen.

2005 im Februar ein Schreibtisch, drauf ein Planfeststellungsbeschluss:
"Des hoißt Baugenehmigung, ihr Häuslesbauer, mir schwätzed hier koin Stuss!"

Oettinger zu Mehdorn, voller Geltungsgedurschtel:
"Mir befreien Stuttgart von diesem Gleisgewurschtel."

2006 Im März VCD und BUND präsentieren "K einundzwanzig"
Der Tiefpseudobahnhof daneben: wie zerlaufene Butter, ranzig.


2007
Im September die erste Großdemo mit fünftausend Leuten
auf dem Marktplatz, was soll das denn bedeuten...?

67.000 Unterschriften für nen Stuttgarter Bürgerentscheid -
abgelehnt, die Stadträte sind noch nicht so weit.

2008 Der Bundesrechnungshof erkennt: S 21 rechnet sich nicht,
doch der Bund hält seine eigenen Beamten eher für schlicht.

2009 Der Neue Bahnchef heißt Rüdiger Grube,
lässt die Tunnel verengen, drückt auf die Betontube.

Martin Herrenknecht überweist, das wird teuer, oh:
an die Landes-CDU ne Spende über 70 Tausend Euro.

Im Oktober - vier Leute irren umher, und suchen nach ner Chemo
gegen Filz und Schilda und begründen die Montagsdemo!

Und allen, die noch immer nur noch Bahnhof verstehen,
sagten wir: du musst die Dinge im Zusammenhang sehen!
Was war mächtiger: Stolz, Verachtung oder Gier?
Ich vermute: die Dummheit - doch deshalb sind wir hier!
Lügen spielen die Hauptrollen, aber wir entern das Stück,
holen sie mit Argumenten in die Realität zurück.
Sind Jahrzehnte des Wohlstands auf Geschacher begründet?
Mal schauen, ob Wirtschaft, ob Politik n'moralisches Update findet.
Bislang waren wir Regierte einfach nur die Dussel -
Das waren die ersten Bilder in meinem Puzzle -
Fortsetzung folgt!



2

2009 gegen Jahresende, unter den Platanen
gründen sich die Parkschützer, sie ahnen so ein Schwanen
Und oben in den Wipfeln, verfolgt vom Siebenschläfer
krabbelt ein fideler, schillernder Juchtenkäfer...

Wenn die Blätter fallen und es wird Herbst -
Die Mahnwache hat Flugblätter, damit du und du und du was merkst!

2010
2.2. hinter Waggon-Barrikaden, mit Polizeischutz von ganz oben
wird der Prellbock von Gleis 10 mit dem Bagger ausgehoben.

Tanja Gönner und Stefan Mappus, einander sympathisch zugetan,
erheben das Glas, Schön Prösterchen, mein lieber Stefan!"

Einen Monat später: Herr Azer listet 121 Risiken auf eine Liste;
Grube und Kefer zu ihm: "am besten, du vergisst se"...

Peter Dübbers gibt vor den Richtern zu verstehen:
"Ich kann die Bahnhofsseitenflügel nicht in Trümmer gehen sehen!"

Den mittleren Schlossgarten, den heut als Bauloch bekannten
entern Im Juli zehntausend Demonstranten.

Inzwischen die Montagsdemo, vier-fünf tausend alle sieben Tage -
die Mahnwache erhebt vor dem Nordflügel ihre Klage.

26. Juli -
wenn wir erklimmen schwindelnde Höhen,
setzen uns auf den Nordflügel drauf,
weit von dort oben kann man ersehen,
der Bahnhofskampf nimmt nach oben seinen Lauf.
Und einer bleibt besonnen und auf dem Hocker,
routiniert vom Klassenkampf: Nestor Gangolf Stocker!

Ende Juli - Walter Sittler erhebt seine Stimme
zum Schwabenstreich, gegen die Pfeifen sollen die Pfeifen beginnen!

Zwei Tage später: ein Bauzaun, schnöde und massiv,
riegelt den Nordflügel ab durch Uniformen, die man rief.

Zwei Wochen später, s'ist Sommerferienzeit,
beißt der Bagger erste Lücken in den Flügel, tief und breit.

Und um den Bahnhof stehn wir, eine lange Menschenkette -
gemeinsam bleiben wir oben, so lautet diese Wette!

Mitte September: Merkel erfindet das Märchen vom unregierbarn Staat,
wenn S21 nicht gebaut würde - was fürn Gedankenspagat,
womit sie erst den Wasserwerfern den Weg in den Schlossgarten bahnt.

30. September - eine Schülerdemonstration -
im mittleren Schlossgarten warten die Polizisten schon.

Wenige Stunden später: Hunderte Regenschirme,
künstlicher Sprühregen und mehr gegen denkende Gehirne!

Am Abend dann Kerzen und Lichter, noch ganz belämmert
vom kriegsähnlichen Getümmel, warten wir alle und es dämmert -


Und die Nacht fällt herein und dann fallen sie die Bäume
Und es zerfallen die schönen demokratischen Träume,
Und der Staat führt uns vor: wer sich in ihm verheddert,
wird leicht so wie dieser und jener Baum geschreddert.
Jeder Baum ein Aufschrei - so gellt es durch die Nacht,
wüst putzt und zeigt sie ihre Zähne - die Macht.

Am Abend darauf, der Ferdinand-Leitner-Steg
droht einzubrechen, zu viele sind auf dem Weg
Auf dem Weg in den Park, hunderttausend kommen
man hat ihnen das Vertrauen erschüttert und genommen. -
Und im Staatsministerium oben wähnt ein Krokodil
mit Namen Stefan Mappus sich irgendwie am Ziel.

Aber unten: Zelt um Zelt werden Zelte aufgeschlagen,
der Schlossgarten ist noch nicht ganz in die Grube getragen,
Und in den Tipis und im Kreis und im Grünen
gehen die Gespräche voran und mit trotzigen Mienen...


November wird es, und aus dem Auto steigt einer,
begrüßt die Machtoberen, der Geißler Heiner.
Fernsehkameras liefern Bilder republikweit -
der Schlichter mit dem Poker Face er grinst republikbreit.


Am Berliner Hauptbahnhof hält ein Sonderzug -
die Bahnhofsrebellen aus Stuttgart verlassen ihn im Flug.

Ende November - die Schlichtung ist geschlichtet,
S 21 soll gebaut werden, hat Heiner Geißler gedichtet.


2011
21. Dritter: 35 tausend Stimmen gegen die Verfassungswidrigkeit
der Mischfinanzierung; Schuster nuschelt: "ich bin euch Protestler leid."

27. März: Landtags- / Schicksalswahl, für CDU-Granden jedenfalls -
und hoch in den Schlossgartenplatanen piept ein Wendehals.

Und allen, die noch immer nur noch Bahnhof verstehen,
sagten wir: du musst die Dinge im Zusammenhang sehen!
Was war mächtiger: Angst, Scham oder Geltungssucht?
Ich vermute: irgend so was aus dem Menschenseelen-Nöte-Buch.
Wie könnten wir euch bestätigen: ihr hättet es gut gemeint?
es wird das Gegenteil von gut gemacht, wie uns allen hier scheint.
Aber deshalb gibt es uns, damit wir's euch aufs Brot schmiern:
Ihr sollt nicht weiter nach irren Zielen bis an euren Tod giern -
Fortsetzung folgt!



3

Juli 2011, der Stresstest ist offziös bestanden
Das Ergebnis stand schon vorher fest - nur die Wahrheit kam abhanden.
Drum macht Claus Schmiedel sich für einen starken Glauben stark,

legt Gottes Segen über den Bahnhof und den abgeholzten Park.

Im grauen Monat November wird Rüdiger Grubes Stimme helle;
verkündet bei vier komma zwei sechs Milliarden 'ne veritable Sollbruchstelle!

Zwei Wochen später: Volksabstimmung, o unseliges Formular
zwei Wörtchen werden kreuzvertauscht: ja heißt nein und nein heißt ja.
Und in Biberach und Durlesbach, da machen sie
auch ihr Kreuz
und hören's nicht, wie im Gleisgebirge eine Stellwerkweiche seufzt.

Das ist das Ende der Bewegung für einen Erhalt des Kopfbahnhof.
S 21 triumphiert! - S 21 bleibt unterirdisch doof! -
Also, was tun? - Frau Mahnwache und Frau Montagsdemonstration
schauen sich tief in die Augen - und erfinden den Protest-Marathon!

2012 Und schau mit der ersten Ausgabe des "Tunnelblick"
kehrt in den Protest die alte Energie zurück.

Das Schlossgartencamp im Februar wird von der Polizei geräumt. -
Geräumt heißt noch nicht ausgeträumt, dann wird anderswo sich aufgebäumt...

Ein Saal der Landesmesse, Filder-Dialog mit Frust:
Das ganze Mitdiskutieren - zischelt Kefer: "Schad um den Zeitverlust..."


12. Dezember, Schwarze Magie? A wa! Und gar nicht "wie verhext":
der Kostendeckel offiziell gesprengt: "wir liegen bei sechs komma fünf zwei sechs!"

2013 Im DB-Aufsichtsrat: Pofalla gebärdet sich wie Graf Zahl
"Milliarden hin oder her - Maul halten, s'ist Bundestagswahl!"

von Loeper, Reicherter und Conradi
verklagen den Grube & Kefer-Club gemeinsam vor dem Kadi.

2014 VCD, Grüne, Pro Bahn, BUND verlassen das Aktionsbündnis
die Wege des Herrn sind manchmal wirklich unergründlich.

Im Juli: eine Rikscha radelt zwischen Baulastern nach hinten -
das Konsumvolk soll das eröffnete Müllaneo finden.

Kurz vor Weihnachten: 40.000 Unterschriften zur Bekehrung
des Gemeinderats für den Umstieg: abgelehnt, schlechte Bescherung!
Frei Otto, der Greis, in einem Interview:
Ich habe mich geirrt - "mein Tiefbahnhof ist ein städtebaulicher Filou."

2015
von Loeper, Reicherter klagen mit argumentativer Kraft
gegen Deutsche Bahn und - neu! - gegen die Staatsanwaltschaft!

Eine Liste mit siebzehnhundert Risiken, so geht das Gerücht
führe die Deutsche Bahn - ja, reichen die 1700 nicht?

2016 im Mai, die grün-schwarze neue Regierung verletzt
die Vernunft, schreibt: S21 wird - jetzt Wortwitz! - "zügig umgesetzt."

Volker Kefer hält noch ein Mal so richtig den Kopf hin,
sagt: Kosten rauf, Bauzeit verlängert, dann schmeißt er den Job hin.

Das Bundesverwaltungsgericht wehrt dem neuesten Bürgerbegehren:
die DB sei ein Riese an der Börse, dürfe sich nicht mit Verantwortung beschweren.

Der Bundesrechnungshof kommt auf 10 Milliarden - quelle Malaise! -
und bläst den Marsch ins alte Horn - diesmal als Marseillaise.

2017 Fast pünktlich kurz nach Neujahr zwanzig siebzehn
will sich auch Rüdiger Grube nicht länger selber triezen;
er wirft den Bettel hin, verzieht sich nach Walhalla -
wer übernimmt den S21-Vorsitz: der geschmeidige Pofalla!

Im März sagt der Neue Bahnchef Lutz, schon ganz verdrossen,
er sei zu S21 - Nachtigall ich hör dir trappsen - "finster entschlossen."

Sieben Jahre Mahnwache sind es im Julei;
sieben dunkle Jahre, auf dass einst Licht am Tunnel sei...

Bei Rastatt sacken die Gleise flächig nach unten ab;
der Bahnverkehr im Rheintal macht für Wochen einfach schlapp.
Und im Kessel Stuttgarts: Laster für Laster, Hub für Hub
verteilen sich Staub und Treibhausgase im Flug.

Und allen, die noch immer nur noch Bahnhof verstehen,
sagten wir: du musst die Dinge im Zusammenhang sehen!
Was war mächtiger: Trotz, Panik oder Ignoranz?
Ich vermute: irgend wo da beißt sich die Schlange in den Schwanz.
Vorstände kommen - Vorstände verhoppeln sich;
ihre Gehälter aber rechnet nach, verdoppeln sich...
Wir widersprechen offen: die Zukunft ist nicht das, was ihr davon haltet
sonst hätten wir uns auch nicht dazwischen geschaltet.
Die Zukunft ist das, was die Erde braucht zum Leben
und zu aller letzt ist sie ein Schlipsträger-auf-Wolke-sieben-Schweben. -
Fortsetzung folgt!
4

2018 Im Tunnel kurz nach Untertürkheim: Wasser an den Wänden
Wenn niemand S21 stoppt, wird es sich selbst beenden.

Die Baugrube gähnt, die Baugrube klafft,
was der Mann mit Mutter Erde doch für grobe Löcher schafft.

In Ulm fliegt ein Spatz, es sieht aus wie eine Fabel,
an den Tunnelröhren vorbei, mit einem Halm im Schnabel.

Und die Bauleute sind täglich am Fakten Schaffen
und die Finanzprüfer in Berlin sind am Fakten Raffen:
"Au weia, wird das teuer, wer soll das nur bezahlen? -
wir halten erst mal 'nen Workshop, und zwar im Nullen Malen."

Und wieder wird die Strafe für die Veruntreuung vereitelt;
die Richter scheint's sind doch sehr seitenscheitelgescheitelt.

Und die Mahnwache steht, auf den Sommer folgt der Regen. -
Wenn die Kosten weiter steigen: wer wird sich als erstes bewegen?

Da, Stefan Mappus köpft sich ein Frühstücksei;
Tanja Gönner ist eher für'n Müslibrei,
und Schuster und Grube liegen am Strand. -
Ich hab keine Beweise - und sie keinen Anstand.

Auf den Fildern: S-Bahn-Chaos, Leinfeldens OB Klenk
bricht sich vor Unmut fast das Zeigefinger-Sprunggelenk!

Und auf dem Killesberg liegt ein langer Haufen Steine
für die umgesiedelten Eidechsen - doch die haben Beine;
und beim Bauhof in Feuerbach da verrotten die Rümpfe
der gefällten Schlosspark-Bäume, ohne Wurzeln, Wipfel, Stümpfe.

Die neue Vieregg-Rössler-Studie belegt: es ergibt noch immer Sinn,
der Ausstieg brächte immer noch einen Millardengewinn. -
dem Bundesrechnungshof rinnen die Tränen bis ans Kinn.
Er schreibt den x-ten Prüfbericht, lässt ihn kopieren,
die Parlamentarier lesen's und müssen sich fremdgenieren.

Die KPMG-Studie verweist auf die baulichen Risiken -
der Bahn-Aufsichtsrat lässt sie geheimhalten, denn:
die Öffentlichkeit, die mit ihrer Kontrolle -
vermiest einem das Spiel mit ihrer Gouvernantenrolle.


2019
Der Bundesrechnungshof mahnt: die Bahn-AG kriegt Steuergeld;
sie muss die Bücher offenlegen, auch wenn ihr das nicht gefällt.

Das Gleisgebirge bei Sonnenaufgang, die Schienenstränge glänzen;
es ist Freitag - sieh da, wie sie die Schule schwänzen!

Und der Klimaschutz der Regierung trägt eine Perücke -
drum - willkommen, Extinction Rebellen, dort auf der Paulinenbrücke!
Wer den Bahnhof schützen will, verschwistert sich eben
mit allen, die sich einsetzen aus Liebe für's Überleben;
bis alles sich sträubt und das mit Freude, "dass es piekst und stupft und hakt –
Wir sind viele tausend Leute und wir wachsen Tag für Tag!"

Und allen, die noch immer nur noch Bahnhof verstehen,
sagen wir: du musst die Dinge im Zusammenhang sehen!
Was ist mächtiger: Schadenspanik oder der Gesichtsverlust?
Ich glaube, die Granden schieben schon einen grande Frust.

"Verträge sind zu halten" sagen sie als Angsthasen
"Die Verträge sind null und nichtig!" sagen wir, die die bessere Angst haben:-
Glaubt ihr, die Wirklichkeit hält sich an menschliche Verträge? -
Die Realität, täteräh, setzt einfach an mit ihrer Säge:
Wird sich ein Zug im schiefen Tiefbahnhof verweigern wegzurollen,
weil wir ihm den Bauvertrag in Kopie an die Fensterscheibe kleben sollen?
Neun Jahre Bauwut, und es lichtet sich der Staub;
und alle wissen, was es war, in drei Silben: es war Raub.

Raub an der Stadt, am allgemeinen Wohl,
doch im Gleisbett zu Stuttgart, da trotzen die Steine,
es liegt die Vernunft in einem Grab auf der Prag;
das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine,

die Nacht währt zehn Jahre, und dann kommt der Tag!
Wir haben das Recht, die Verfassung studiert;
unter uns ist niemand, der sich nicht für dieses Land engagiert:

Verträge, aus Filz, aus Feig- und aus Trägheit geschlossen,
mit Machbarkeitswahn, Chauvinismus übergossen,
nein, solche Verträge binden uns nicht länger,
es gibt etwas Stärkeres, das bindet strenger:

die Zukunft der Erde wird in Stuttgart mit entschieden,
wenn S21 gestoppt wird, wird die Zukunft siegen!
Kritiker sagen: was ändern wir schon? -
Wir setzen ein Zeichen für unsere Zivilisation!

Wenn der Kopfbahnhof bleibt, kann auch anderes bleiben,
steigt die Hoffnung, die Selbstzerstörung selbst zu vertreiben.
Wir setzen zum Sprung an und reichen euch die Hand,
verzeihen euch und setzen das Recht wieder instand.

Die Zukunft ist offen und die Fortsetzung folgt,
Demokratie komm hoch, bleib' oben, denn wir sind das Volk!




Zum Blog vom 8.8.2016, 333.Montagsdemo

Riesenstandort

Wie lange wohl werden sie uns noch dulden –
Eh uns der Himmel verschlingt
Unsere djakartaisierten, newyorkisierten, mumbaiisierten Städte
Diese Makro-Metro-Mundo-Humankapitalumschlagplätze

Grellgrau, unitbunt, breit und brüsk
Lang und eng, welk und wild.

Mit Crack und Salad – Cracksalad
Mit Shrimps und Festplatten – Shrimpsfestplatten
Mit Tapas und Abwasser – Tapasabwasser
Mit Radar und Krawatten – Radarkrawatten
Mit Urbanisierungswings und Casino-Consulting?

Jede Minute wird in unseren Gossen
Ein Rattenkönig des Jahres gekürt
Mit Quietschcream und Speckgürtelschnitzel
Mit Expansionspansen und Megaplexus-Chicken.

Sind Rührmaschinen-Mischmaschmisch-Gebirgsmassive aus Verkehrsgestein
Aus Anzugarmut und Fußgängerzonen-Softwar
Aus Lehrstellenbenefiz und Versäumnisworkshops
Aus Wellblechmenschvorstandschefs und Obdachlosenerosionen

Wer aber sagt uns, wo es hier wohin geht?
Ist nicht gerade ein Zwergbergwerk
Nicht gerade ein Bonobo-Tokyo, unser Riesenstandort.
Mit Kinotherapien und Freiheit-Highlights
Mit Attentatattacken und Boxflugzeugrummel
Wolkenkratzerzerkratzen und Brachialbrutalbrachen.



Unregierbarkeit hat ihren eigenen Charme
Du musst ihn nur erst finden
Zwischen Bulldozzerdope und Hechelgruppenvertretern
Zwischen Friedenspreiskollöpsen und Infoimperieninfarkten

Übersicht ist alles
Nur kein Thema
An den Überlaufbecken zusammen brüchiger Überhandlandnehmungen
An den individuell verlassenen Stadtstrandkrampfadern
In Menschenbiomassenkörperschaften

Und so rufen wir die Aeroplanes
Wir rufen die Satelliten
Rufen die Containerschiffe:
Lasst uns vernünftig werden!

Wir beschwören den Abgrund
Wir beschwören den Komfort
Beschwören das Genom:
Lasst uns Menschen werden!

Lasst uns lassen die Moschee im Dorf
Den Dom in der Stadt
Den Tempel in der Metropole
Trotz At-it’s-best-Asbest, Staubcountdown und
Anspruch auf Beschädigung.

Was glotzen wir so quadratisch
Während der Fortschritt seine eigenen Füße frisst!


Wohl denen, die in schicksalfreien Zonen
Durchversichert vor sich hin verdienen
Wohl denen die sich herunterladen können
Was ihnen im Moment zuviel ist.
Wohl denen, die in programmierten Avatarsocietys
Narkotisierende Narzissennippel küssen können
Und für die „Tsunami“ eine Champagnermarke darstellt
Die besonders cremig kremiert.

Für alle andern aber (und selbst für jene) gilt:
Lösungshaaransätze
händelringend gesucht!
Eh uns der weltweite Wandel
Den katastrophalen Wohlstand beschwert
in den ugly-agro Agglomerationen, akropolislos

Mit Markt und Kiez und Bus und Bahn
Mit Teig und Kalk und Bar und Glas
Mit Streß und Fleisch und Lust und Klotz
Mit Fest und Krieg und Platz und Zoo
Mit Pelz und Kunst und Rock und Sport
Mit Chance und Zwielicht und Türmen und Kneipen
Mit Flugzeug und Häusern und Straßen und Kindern
Mit Schuttplatz und Scholle und Muskeln und Fressgier
Mit Pharma und Oper und Ansporn und Gehsteig
Mit Poker und Griffen und Kunden und Zügen
Mit Salad und Würde und Tapas und schlaflos
Mit Winken und Taxi, Tattoo und mit Psycho
Mit Quietschcream und Achse und Imbiß und Kollaps
Mit Acid und Anschlag und Landflucht und Airport
Mit Basis und Zentrum und downtown und Beute
Mit Bildung und Weltmarkt und Tele und Pizza
Mit Rathaus, Infarkt und mit Limit und Spielplatz
Mit Börse und Börger und Bürger und Brötchen
Mit Lichtbild und U-Bahn, Sightseeing und Gully
Mit Stadtverkehr, Banlieue, Fiberglas
Vorbehalt, Abendblatt, Gebeten
Tarifstreit Tabasco UNESCO
Schalldosen, Klavieren, Etagen
Automaten, Karriere
Lohnfortzahlung, Sonderchiffre
Ledersofas Ökoschadstoff
Lichtern der Großstadt
Zivilisation,
Autobahnausfahrt
Eigenkapital
Entgeltabrechnung
Maßanzugsmasken
Bevölkerungsschätzung
Gehirnerschütterung
Trinkwasserversorgung
Katastrophenhilfe
Lebensbedingungen
Rechtsbehelfsbelehrung
Abfallbeseitigung,
Überwachungsmaßnahmen
Verdunstungsoberflächen
Obdachlosenerosionen
öffentlichen Bekanntmachungen
Regenerationsfähigkeit
Generationengerechtigkeit
Investorinteressenvertretern in
Menschenbiomassenkörperschaften –

Wo ein jeder von uns seine Würde hat
Wo wir alle, treffen wir aufeinander
Zähne tragen
Mitten im Gesicht.




Zum Blog vom 7. Juni (Timo Brunke)



Zwei Liedtexte von Timo Brunke, Performance Poet und Demokrant* für den Erhalt des oberirdischen Stuttgarter Kopfbahnhofs

* Demokrant: Wortschöpfung als Angebot zur politischen Identitätsstiftung und zur Überwindung der Bezeichnung „Wutbürger“. Das Wort „Demokrant“ setzt sich zusammen aus den beiden Begriffen Demokrat und Demonstrant. Ein Demokrant ist demnach ein die Demokratie bejahender Bürger, der um der Artikulation dieser demokratischen Gesinnung willen auf die Straße geht.


Unter dem Gleisgebirge

eine Adaption des Liedes „Und in dem Schneegebirge“, einem deutschen Volkslied aus dem Glatzer Bergland/Schlesien (1553)


Unter dem Gleisgebirge
Da fließt ein Brünnlein kalt
Und wer vom Brünnlein trinket
Und wer vom Brünnlein trinket
Bleibt jung und wird nicht alt.

Ich hab daraus getrunken
So manchen kühlen Trunk.
Ich bin nicht alt geworden,
Ich bin nicht alt geworden,
Ich bin noch allzeit jung.

Sag, Tiefbahnhof, du scheidest,
Herzallerunliebsamster mein!
Kommst du bestimmt nicht wieder?
Kommst du bestimmt nicht wieder?
Das wird das Beste sein.“

„Stuttgart, ade, ich scheide,
Herzallerundankbarste mein,
Was hätt’ ich dir gegeben!
Viel hätt’ ich dir gegeben
Und mehr noch obendrein!“

„Du hätt’st mir ja genommen
Die Freud’ in dieser Stadt.
Wirst auch nicht wieder kommen?
Wirst auch nicht wieder kommen?
Ich hab dich ja so satt!“

„Wenn’s gute Gründe schneiet,
Das Geld auf Wiesen wächst wie Klee,
Dann will ich wiederkommen
Dann will ich wiederkommen,
Stuttgart, ade, ade!

„S’schneit keine guten Gründe,
Und auf den Wiesen wächst kein Geld,
So kommst du auch nicht wieder,
So kommst du niemals wieder,
Das sei hier festgestellt!“






Was solln wir tun mit dem S21-Technokraten?

Adaption des bekannten Shantys „What shall we do with the drunken sailor“


Was solln wir tun mit dem Stuttgart Einund-
Was solln wir tun mit dem Stuttgart Einund-
Was solln wir tun mit dem Stuttgart Einund-
Zwanzig-Technokraten? –

Hooray, wir bleiben oben,
Recht so, wir bleiben oben,
Ja, ja, wir bleiben oben –
Eben: Oben bleiben!

Hurra, wir bleiben oben,
Bravo, wir bleiben oben,
Klar, yo, wir bleiben oben –
Gruben bleiben eben!

Lass ihn das Brett vorm Kopf durchbohren,
Lass ihn das Brett vorm Kopf durchbohren,
Lass ihn das Brett vorm Kopf durchbohren,
Für ne kürz’re Leitung!

Hooray, wir bleiben oben,
Leute, wir bleiben oben,
He, ho, wir bleiben oben –
Eben: Oben bleiben!

Kommt, kommt, wir bleiben oben,
Baustopp, wir bleiben oben,
Medien, wir bleiben oben –
Eben oben leben!

Wirf ihm nen Brocken Gips in’ Kaffee
Wirf ihm nen Brocken Gips in’ Kaffee
Wirf ihm nen Brocken Gips in’ Kaffee –
Quellgips-Cappuccino!

Stuttgart, wir bleiben oben,
Gut so, wir bleiben oben,
Doch, doch, wir bleiben oben –
Eben: Oben bleiben!

Handschlag, wir bleiben oben,
Bravo, die Stadt erhebt sich,
Weisstu, wir bleiben oben –
Gruben bleiben eben!

Lass’ ihn das Grundwasser selber schöpfen
Lass’ ihn das Grundwasser selber schöpfen
Lass’ ihn das Grundwasser selber schöpfen
Vierundzwanzig Stunden!

Schnall’sch du’s? – Mir bleibet obe!
Rheintal, wir bleiben oben,
Huhu, wir bleiben oben –
Eben: Oben bleiben!

Yes, Sir, wir bleiben oben,
Alder, die Stadt erhebt sich,
Sehr gut, wir bleiben oben –
Oben bleiben – Eben!

Lass ihn in lange Röhren kucken,
Lass ihn in lange Röhren kucken,
Lass ihn in lange Röhren kucken,
Bis ihm davon schwarz wird.

Schick ihn aufs Gleisfeld, Blumen gießen,
Schick ihn aufs Gleisfeld, Blumen gießen,
Schick ihn aufs Gleisfeld, Blumen gießen,
Oder Grillen füttern!

Lass ihn die Schlichtung noch mal kucken,
Lass ihn die Schlichtung noch mal kucken,
Lass ihn die Schlichtung noch mal kucken –
Dann noch mal von vorne!

Break:

Ob er aber eher unten drunter soll
Oder an der Seite noch zwei Gleise will
Oder ob er überhaupt was taugt – da wird es eng!

Hurra, wir bleiben oben,
Hurra, wir bleiben oben,
Hurra, wir bleiben oben –
Eben: Oben bleiben!

Hooray, wir bleiben oben,
Hooray, wir bleiben oben
Hooray, wir bleiben oben –

Oben bleiben, leben!


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Uraufführung bei der Montagsdemo am 9.8.2010


Stuttgart - Die Schillerstraße ist in den vergangenen Tagen mehrmals von den Protestzügen der Kopfbahnhof-Befürworter besetzt worden. Unser Kolumnist Timo Brunke geht der Frage nach, wo sich der Namensgeber der Schillerstraße im Streit über Stuttgart 21 wohl positioniert hätte.

Er, der am Bopser einst den Freunden
Mit Feuer aus seinen Räubern las,
Er hätte sicherlich nicht Däumchen
Gedreht im grünen Stadtparkgras.

Es hätt' gewiss auch ihn beschäftigt:
Der einen Wilhelm Tell uns schuf,
Er hätte mitgemischt und deftig,
Schließlich war Denken sein Beruf.

Wie würd' er sich konkret verhalten:
Stünd' er mit Trenchcoat, Tröte, Hut
Vorm Bankmassiv im Sommerregen
Und stellte sich mit der Menge gut?

Stieg er nach kürzesten Bedenken
In Jeans und Turnschuhn aufs Podest,
Entflammte "wider die Tyrannen"
Mit Sturm und Drang und Manifest?

Käm' er dem Bürgerchor zu Hilfe
Und steuerte selbst Texte bei
Und dirigierte ihn am Ende,
Wie Klinsmann: schwäbisch, frank und frei?

Vielleicht mag ich mich in ihm täuschen,
Dann säß' er im PR-Büro,
Im schwarzen Rollkragenpullover,
"So Latte macchiato so."

Und röch' an seinem faulen Apfel,
Den der Designer-Schreibtisch birgt,
Für die Idee zu einem Slogan,
Der Großbaustellenlust bewirkt.

Ist's möglich, dass ihn inspirierte
Der Fortschritt-Geld-Kulturkonflikt
Zu einem Bahnhof-Menschheitsdrama,
Gespickt mit Wahrheit und verzwickt?

Wenn ja: wie müsst' das Drama heißen?
Trüg' es den Namen "Rockenbauch"?
Hieß' es wohl "Schuster", "Drexler", "Wölfle"?
"Die Räuber - zweiter Teil" ging auch?

Und wäre diese Wahl entschieden -
Das Drama hätte welchen Stil?
Die nahen Zeiten werden's weisen:
Ob Komödie, Schauspiel, Trauerspiel.


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Videoclip „Freunde schöner Kopfbahnhöfe“
http://videos.wittysparks.com/id/799219975

Widerstandshymne

Freunde schöner Kopfbahnhöfe
(Melodie: Ludwig van Beethoven, IX. Symphonie, vierter Satz,
die Vertonung von Friedrich Schillers „Ode an die Freude“)
 
   Freunde schöner Kopfbahnhöfe
Lasst uns Kopf an Köpfchen stehn,
Laut und bunt, mit Krach und Tröte
Soll man unser Sträuben sehn:
Alles sträubt sich und mit Freude,
Dass es piekst und stupft und hakt –
Wir sind viele tausend Leute
Und wir wachsen Tag für Tag.
 
Freunde schöner Parks und Bäume
„Unumkehrbar“ ist ein Wort.
Eins nur wolln wir nicht versäumen:
Hier zu schützen diesen Ort.
Denn das Rad, das sie beschwören,
Seinen „unhaltbaren Lauf“,
Werden wir, die Bürger, stören,
Notfalls setzen wir uns drauf!
 
Freunde schöner Grundgesetze
Und des freien Volksentscheids
Niemand will das Recht verletzen,
Wir wolln nur ein bisschen Schweiz:
Etwas mehr beteiligt werden
Was und wer, warum, wofür ?
Drum, mit friedlichen Gebärden
Stelln den Fuß wir in die Tür.
 
   Freunde, dieser Stadt zu Ehren
Holt den Kehrwisch aus dem Schrank!
„Unumkehrbar“ umzukehren
Und die Zukunft sagt uns Dank!
Keine Angst vor Zwang und Zahlen,
Wir sind das Volk, wir sind das Geld.
Seht, wie unsre Augen strahlen:
So verändern wir die Welt!
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Links unten hockt’s auf dem Plakat
Und sticht mir in den Blick:
So grün in grün und akkurat,
Ein Schwung, ein Falz, ein Knick.

Zwei Hundert-Euro-Scheine stell’n
Ein Haus im Grünen nach.
Der eine Schein mimt eine Wand,
Der andere das Dach.

"Zwei hundert Euro?" stutze ich,
Das reicht nicht, will ich meinen,
Was ist mit all den anderen
Milliarden Euro-Scheinen?

Um alle Kosten darzutun,
In Kartenhausmanier,
Was das für ein Gebilde wär’,
Aus Kleister und Papier:

Zwanzig Millionen Hüttchen gäb’s
Im Raster aufgereiht!
Ein Musterbeispiel, in der Tat,
Grube’scher Offenheit.

Was wäre das für ein Plakat!
Wohl sechzehn Kilometer breit,
Elftausend Meter Hochformat –
Die größte Werbewand weltweit!

Der "Schutzzaun" um den Bonatz-Bau
Wär nur ein Staubkorn Dreck davor.
Und zerrte am Plakat der Wind,
Wär’ das der Beat zum Bürgerchor!

Die Sicherheit allein versagt,
Es senkrecht aufzurichten.
Es wär’ von unten ohnehin
Mitnichten mehr zu sichten. –

Wir spannen das papierne Trumm
Als Zeltdach übern Kessel!
Vom Fernseh- bis zum Bismarckturm
Mit Hyper-Stahlseilfesseln.

Solch Megaposter will ich sehn,
Im Weltall noch zu orten.
"Schau, das ist Stuttgart!"

sagt ein Mensch
Vom Mars mit Marsmenschworten.

Olympiastadion und Mekka
Mit ihren Riesenzelten
Versinken tief im Mittelmaß –
Jetzt dürfen wir mal gelten!

Das Beste an dem Kesseldach –
Die ganze Stadt rutscht drunter!
So wird der Bahnhof Tiefbahnhof,
Wie durch ein großes Wunder!

Die Herren kriegen ihr Prestige,
Es schließen sich die Wunden.
So ist kurz vor der Bröselshow
Die Lösung noch gefunden!


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Sehr eindrucksvoller Clip mit Timo Brunke
zu

„Dialog 21“ unter dem Titel „Monolog 21“
„Stuttgart - Ulm in 59 Minuten und zurück in 28 Minuten“
Fingervers von Bahnhof und Baggermann

http://www.youtube.com/watch?v=KLEoe-CjuR8&feature=player_embedded#!

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Timo Brunke

Kopfbahnhof-Fingervers (StZ vom 4.5.10)

Daumen ist der Bahnhofsturm,
(linken Daumen in die Höhe strecken)
Finger das Gebäude, (linke Hand zur Seite ausstrecken)
Seitenflügel? – Fingerknick! (vier Finger rechtwinklig z. Handfläche)
So steht er bis heute.

Kommt der brave Baggermann, (rechten Daumen zeigen)
Soll die Flügel reißen – (Daumen re. schnippst an Fingern li.)
Muss den braven Baggermann
Unser Bahnhof beißen. (linke Hand umfasst rechten Daumen)

Baggermann im Bahnhof bleibt,
Mag sich drin verstecken,
(wedeln mit re. Daumen in li. Hand)
Isst so lang, zum Zeitvertreib, (mit Händen über d. Bauch reiben)
Zwanzig Fleischkäs’wecken. (in imaginäres Brötchen beißen)

Kommen die Politiker,
Baggermann zu suchen,
(die Finger d. re. Hand strecken)
Baggermann bleibt unentdeckt, (li. Daumen in re. Hand s.o.)
Nein, da hilft kein Fluchen! (Fäuste ballen)

Und im Schlosspark, nebenan,
Freun sich die Platanen, (
re. Hand: Finger wedeln)
Winken mit den Wipfeln zu
Allen Eisenbahnen,

Die dort übers Gleisgebirg
Fröhlich rasch hin brausen.
(Hände gespreizt übereinander)
Tiefbahnhof bleibt ein Projekt (li. Hand mit aufgestellten Fingern)
Für den Herrn Münchhausen. (Zeigefinger an die Stirn tippen).

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Blogeintrag vom 7.10.09

Der sprachwitzige Stuttgarter Poet Timo Brunke hat bei der Stuttgarter Zeitung seine originelle Kolumne in Gedichtform gestartet. Es sind Beobachtungen in Stuttgart, die er kritisch-ironisch-satirisch-liebevoll kommentiert. Ihre besondere Stärke ist die Aktualität, wenigstens bis jetzt. Keine Dichtung für die Ewigkeit, aber wie frische Blumen sind, mit dem Charme und Duft von heute.

Aus "
Biblio-Brachland"

Aus späten Blüten naschen, sieh,
Die altersschwachen Bienen
Doch - horch! Was hör ich vis-a-vis?
Das Quietschen der Bahnhofschienen!

Wie oberirdisch schön das quietscht
Auf allen sechzehn Gleisen
Wie's durch den lauen Abend fiepst -
Da möcht ich spontan verreisen!

Aus "
Eine Begegnung am Charlottenplatz"

War das zu begreifen, zu ermessen?
Diese Frau verkehrte den Verkehr!
Machte so sich "Autogart" vergessen
Leser, willst du Wunder? - bitte sehr!

Sie aber schwang sich in die Pedale
Radelte zügig rüber bei Rot
Ihre Nachkriegs-Stuttgartgesinnung:
"Bahn frei dem Auto!"? - Tot.