Leserbrief an die StZ, zum Blog von 4.6.21

Leserbrief zum Artikel „Mehr als nur ein Stück Metall“ in der StZ vom 4.6.21, S. 21:
 
Wie schlecht muss es um das Projekt S21 stehen, wenn die Bahn nun schon einzelne Oberleitungsmasten der Neubaustrecke als Durchbruch feiern muss – wo es noch nicht einmal Gleise gibt? Offensichtlich hofft man, dass auch solch kleine Fortschrittchen bei der Neubaustrecke zwischen Stuttgart und Ulm abfärben auf das eigentliche Projekt S21. Denn das steckt ja in größten Schwierigkeiten:
Die Planungen auf den Fildern sind vor wenigen Wochen faktisch im Papierkorb gelandet, weil die Politik jüngst erst erkannt hat, dass sie den Bahnverkehr auf den Fildern zu sehr einschränken – deshalb soll ein „Gäubahntunnel“ gebaut werden, der aber noch fünf bis zehn Jahre braucht. In Obertürkheim weiß die Bahn bis heute nicht, wie sie mit ihren Tunnels unter den befahrenen Gleisen durchkommen soll, ohne im instabilen Neckarkies eine Havarie wie in Rastatt zu riskieren. Und beim Brandschutz weiß die Bahn sehr genau, dass sie lediglich eine Baugenehmigung für ihre Tunnels hat aber noch lange keine Betriebsgenehmigung – und die wird sehr eingeschränkt ausfallen. Denn die Tunnel bieten in sämtlichen Sicherheits-Parametern (Rettungswegbreite, Abstand der Rettungsstollen, Querschnitt der Tunnelröhren, Steigung) jeweils die schlechtesten, gerade noch erlaubten Werte und sind damit die unsichersten Bahntunnel Europas. Wenn aber die Tunnel nur mit einer eingeschränkten Zahl von Zügen betrieben werden dürfen, wird ein Großteil der Züge von und nach Ulm nicht unter dem nun gefeierten Oberleitungsmasten fahren können, sondern über Plochingen und Esslingen in den Kopfbahnhof – wie bisher auch.
Deshalb: Lasst am Denkendorfer Oberleitungsmasten die S-Bahn von den Fildern ins Neckartal fahren, in den brandgefährlichen Tunnels nicht Menschen, sondern Waren für die City – und den Personenverkehr der Bahn im modernisierten Kopfbahnhof!
Martin Poguntke




Rede auf der 359. Montags-Demo am 20.2.17
(von Martin Poguntke)

Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter!

Sie alle haben von der infratest-dimap-Umfrage gehört. Und Sie alle haben in Ihren Kreisen darüber geredet, was uns ihre Ergebnisse sagen. Lassen Sie mich zu Ihren Überlegungen ein paar Gedanken beisteuern:

1. Zwei Drittel der Bevölkerung fordern, das Umstiegskonzept zu prüfen
Die Sensation der Befragung war ja eindeutig das Ergebnis der dritten Frage, der nach „Umstieg 21“: Sage und schreibe 63 % der Bevölkerung fordern: Prüft den Vorschlag, auf die Modernisierung des Kopfbahnhofs umzusteigen! Fast zwei Drittel der Baden-Württemberger, quer über alle Parteien hinweg, wenden sich gegen ein stures Weiter-so. Sogar unter den S21-Befürwortern haben sich mehr Befragte für die Prüfung von „Umstieg 21“ ausgesprochen als dagegen. Sogar die Proler bekommen offensichtlich so langsam Zweifel.

2. S21 hat keine Mehrheit – Ablehnung wächst
Dafür spricht auch ein zweites Ergebnis: S21 hat in der Bevölkerung keine Mehrheit mehr: Zwar gibt es eine relative Mehrheit, aber weniger als 50 % der Befragten halten S21 für „im Großen und Ganzen richtig“. Und der Prozentsatz derer, die S21 ausdrücklich für falsch halten, ist gegenüber 2011 von 35 % auf 41 % der Bevölkerung gestiegen. So nach und nach scheint man im Volk zu erkennen, auf was man sich mit diesem Lügen-Projekt eingelassen hat.

3. Nur gut die Hälfte findet Volksabstimmung verbindlich
Es bleibt ja den Leuten nicht verborgen, wie Finanzierung, Zeitplan, Brandschutz, Genehmigungen usw. immer mehr ins Rutschen kommen. Immer mehr Menschen wird anscheinend bewusst, was für einen immensen Schaden dieses Projekt für die Stadt und das ganze Land darstellt. Offensichtlich sagen immer mehr Wähler: Das ist nicht der Sinn einer demokratischen Abstimmung, dass man auch unter diesen sich zuspitzenden Umständen das Ergebnis für unantastbar erklärt. Jedenfalls hält nur noch gut die Hälfte der Bevölkerung – 54 % – die Volksabstimmung weiterhin für verbindlich. Das ist eine schallende Ohrfeige für die Landesregierung, deren einziges Argument ja eben diese Volksabstimmung ist.

4. Instrument der Volksabstimmung genießt hohes Ansehen
Dennoch: Das Glas ist nicht nur halb leer, sondern auch halb voll: Offensichtlich genießt das Instrument der Volksabstimmung im Lande einen hohen Stellenwert. Mehr als die Hälfte tut sich deshalb ausgesprochen schwer damit, ihrem Ergebnis zu widersprechen. Und das ist – das muss ich sagen – eigentlich eine sehr gute Botschaft: Diese Bevölkerung steht zu einer demokratischen Kultur. Selbst dann noch – und das scheint mir das Bedenkliche daran – selbst dann noch, wenn eine solche Abstimmung auf Lug und Trug basiert, von OB, Wirtschaft und Politik massiv beeinflusst wurde, juristisch bedeutungslos ist, das Quorum nicht erreicht hat und von den katastrophalen Fakten inzwischen längst überholt wurde.

5. „Umstieg 21“ als Hoffnung in der tiefen Zerrissenheit
Da scheint mir eine tiefe Zerrissenheit mit Händen zu greifen: Dieselben Leute, die sich als vermeintlich gute Demokraten an die Volksabstimmung gebunden fühlen, dieselben Leute sehen mit großer Mehrheit im Konzept „Umstieg 21“ einen Silberstreif am Horizont, dass es auf diese Weise vielleicht doch noch einen Ausweg aus der S21-Sackgasse gibt.
Darauf sollten sich unsere politischen Bemühungen der nächsten Wochen konzentrieren: Wie können wir – getragen von der Hoffnung von fast zwei Dritteln des Landes – die verhärtete Front derer aufweichen, die in tiefer Angst, ihr Gesicht zu verlieren oder vom politischen Gegner in die böse Ecke gestellt zu werden, an diesem Projekt festhalten?
Schreiben wir Briefe, sprechen wir Politiker an, mischen wir uns in Diskussionen ein, fachen wir diese Glut an, damit sie zu einem bundesweiten positiven Flächenbrand wird, der die S21-Dummheit endlich hinwegfegt.


Frei nach dem Achternbusch-Motto: Wir haben keine Chance, aber wir nutzen sie.
Danke und Oben bleiben!