Die tatsächlichen Fakten von Stuttgart 21 müssen auf den Tisch
(z. B. Kosten, Leistungen, Risiken, reale Zeitpläne, Kosten/Nutzen-Berechnungen)

Bei der Landtagswahl hat es ein Teil der Wähler durch seine überlegte Stimmabgabe geschafft, dass in Baden-Württemberg ein politischer Richtungswechsel Wirklichkeit werden kann. Entscheidend für diese Wähler waren mehrere Gründe. Einer der Gründe wird hier herausgegriffen:

CDU und FDP und insbesondere MP Mappus haben entscheidende Fehler begangen. Die Arroganz der Macht hat die Regierenden blind gemacht für das, was ein zunehmender Teil der heutigen Gesellschaft nicht mehr hin nimmt, dass nämlich über die Köpfe der Menschen im Land hinweg beschlossen wird, was die Wenigen „da oben“ wollen. Diese Wenigen begründen zwar ihr Wollen mit dem Hinweis, dass ihre Entscheidungen zum Vorteil von „Baden-Württemberg“ wären. Die Baden-Württemberger, also die Menschen, glauben aber zunehmend, dass damit nicht jene Politik gemacht wird, die das Wohl aller Menschen im Lande bewirkt.

Betrachtet man das Wahlergebnis der einzelnen Parteien nüchtern, dann gibt es zwei Parteien, die nach den Prozentanteilen gesehen besonders schlecht abgeschnitten haben. Es sind dies die FDP und die SPD. Letztere, konnte ihr Tief nicht verlassen und ist nunmehr sogar auf Platz 3 gerutscht Es hätte aber noch schlimmer für sie kommen können, wenn sich nicht ihre bisherige Einstellung zur Atompolitik im letzten Augenblick noch ausgezahlt hätte. So bietet sich jetzt der SPD sogar die Chance, den neuen Aufbruch in Baden-Württemberg mit zu gestalten. Eines der wichtigen Themen bei diesem Aufbruch ist „Stuttgart 21“. Es ist nicht nur ein wichtiges Sachthema sondern es steht auch für den verantwortungsvollen Einsatz der mündigen Bürger gegen eine Politik von oben, die den heutigen Zukunftsaufgaben der Gesellschaft nicht gerecht wird.

Lange hatte sich die SPD bei diesem Thema im Schlepptau der CDU / FDP befunden. Als vor vielen Jahren „Stuttgart 21“ von einigen Personen, denen kein SPD-Mitglied angehörte, aus dem Hut gezaubert wurde, wollte sich die SPD im wirtschaftsstarken Baden-Württemberg offensichtlich ebenfalls als Partei des wirtschaftlichen Aufbruchs mit profilieren. Herr Sigmar Gabriel, Berlin, scheint heute noch Interesse an dieser Stoßrichtung zu haben, wenn er ankündigt, dass in Baden-Württemberg „ein verlässlicher wirtschaftlicher- und industriepolitischer Kurs“ gefahren werden soll. Bei dieser Aussage handelt es sich allerdings zunächst um Worthülsen. Heute werden aber zusätzlich Inhalte verlangt, um die Spreu vom Weizen unterscheiden zu können.

Die SPD in Baden-Württemberg konnte bei Stuttgart 21 keine eigenen Beiträge sichtbar werden lassen. Mit detaillierten Inhalten des Projektes hatte sich das Gros der SPD lange Zeit nicht erkennbar beschäftigt. Als die Realisierung wegen Geldmangels bei der Bahn gefährdet war und von den Promotoren des Projektes (Stadt, Land, Flughafen, Region usw.) teils neue, teils verdeckte Geldzuwendungen an die Bahn erforderlich wurden, um diese bei der Stange zu halten, hat die SPD keine Notwendigkeit gesehen, neu über das Projekt nachzudenken obwohl sich hierdurch die Kosten-Nutzenfaktoren änderten. Jedenfalls kamen in der Öffentlichkeit keine offiziellen Stellungnahmen dazu an. Im Gegenteil, auch die SPD bestand bis in die jüngste Zeit hinein immer wieder auf der „Legitimation“. des Projektes. Dabei wurde meist auf Abstimmungen in Gremien und auf das Gerichtsurteil des
Mannheimer Verwaltungsgerichts von 2006 hingewiesen, obwohl schon seit längerer Zeit bekannt war, dass diese Legitimation durch neue Erkenntnisse verfallen war. Die damalige Behauptung der Gutachter im Mannheimer Urteil, dass der Tiefbahnhof viel größere Leistung als der Kopfbahnhof aufweisen würde, stellte sich nämlich als falsch heraus. Somit war es auch falsch, die Kopfbahnhoflösung im Urteil als Alternative kurzerhand auszuschließen. Das Urteil ist somit überholt.

Obwohl mit der Zeit immer deutlicher wurde, was „Stuttgart 21“ so alles mit sich bringt, nämlich gewaltige Kosten, große Risiken, wenig Vorteile aber viele Nachteile für die Bahnkunden und die Stadtbevölkerung usw., glaubte die SPD, es sei wohl parteipolitisch gesehen für sie das Beste die Haltung „Augen zu und durch“ einzunehmen. Herr Drexler z.B. hatte sich gar als Projekt-Moderator engagiert. Er war dabei, was die Fakten betrifft, ganz auf die Betreiberseite (Bahn, Landesregierung, Oberbürgermeister, Wirtschaft usw.) angewiesen. Im Bilde gesprochen fungierte er als ausgeliehener, rechter Flügelstürmer, der die Bälle (Sachinformationen) der Promotoren vor und in das Tor befördern sollte und wollte. Das Wollen der ganzen SPD und ihre Sachkenntnis von Stuttgart 21 wurde allerdings hinter dieser seiner Tätigkeit nicht deutlicher.

Je länger aber der Weg von Stuttgart 21 wurde, um so genauer hatten sich die Gegner in die Projektmaterie eingearbeitet. Die Befürworterinstanzen wurden im Spätherbst 2010 schließlich beim sogenannten Fakten-Check mit Heiner Geißler dazu gezwungen, wenigstens die technischen Fakten auf den Tisch zu legen. Das Ergebnis zeigte, dass das Projekt tatsächlich, wie von den Gegnern behauptet, viele gravierende Schwachstellen aufweist. Einige davon sollen nach dem Wunsch von Herrn Geißler unter dem Stichwort „Stuttgart 21 Plus“ beseitigt werden. Eine klare Linie dazu wird aber von den Befürworten bis heute nicht deutlich. Von all den aufgeworfenen Fragen soll wenigstens der Stresstest eine Antwort auf die Frage bringen, ob der Tiefbahnhof mit seinen 8 Gleisen überhaupt einen vernünftigen Fahrplan zulässt. Viele andere Mängel sind zwar benannt, doch sind keine konkreten Schlussfolgerungen der Befürworterseite sichtbar.

Heute will die SPD auf Augenhöhe mit den Grünen die Regierung bilden. Grundsätzlich ist gegen „gleiche Augenhöhe“ nichts einzuwenden, weil eine gedeihliche Zusammenarbeit meist nur dann gut werden kann, wenn sich keiner dabei zurück gesetzt fühlen muss. Speziell bei dem Thema Stuttgart 21/Kopfbahnhof 21 sehe ich jedoch die SPD noch nicht auf der gewünschten Augenhöhe. Bekannt ist, dass leider auch heute noch immer viele „Fakten“ von der Befürworterseite des Projektes Stuttgart 21 nicht so dargestellt werden, wie sie tatsächlich sind. Da die SPD von ihrer Führungsspitze trotz der vielen offenkundig gewordenen schwerwiegenden Mängel des Projektes weiterhin als Befürworterpartei positioniert wurde, tritt sie damit ein zweifelhaftes Erbe an. Sie muss, wenn sie auf der Faktenseite nicht vorgeführt werden will, bestrebt sein, dass die Faktenlage bezüglich des Projektes S21/K21 endlich auf eine redliche Grundlage gestellt wird. Hierbei geht es zunächst nicht um Meinungen und Zukunftsversprechungen sondern um die relativ rational zu erfassenden Fakten (Kosten und technische Gegebenheiten). Warum sehe ich hier besonders die SPD in der Pflicht? Sie hielt sich bisher im Windschatten der Befürworterseite auf. Sie äußerte sich kaum zu den vielen Vorwürfen, welche die Gegner bezüglich der unstimmigen Darstellung der Fakten gegen die Bahn, den Verkehrsminister, den Oberbürgermeister und die CDU/FDP-Regierung und auch gegen Herrn Drexler gemacht haben. Die SPD war auch beim Fakten-Check außen vor. Es ist mir daher unklar, ob insbesondere die Parteispitze ihre Sicht auf die Faktenlage den heutigen Erkenntnissen angepasst hat
oder ob sie immer noch auf den vielfach widerlegten Faktendarstellungen beharrt. Es gibt ja in der SPD, und das soll hier nicht unerwähnt bleiben, gar nicht so wenige Persönlichkeiten, die sich zum Projekt S21/K21 anders äußern als die offizielle Führung.

Wenn eine zukünftige rot-grüne Regierung für die Bürger und mit den Bürgern eine gute Lösung in Sachen S21/K21 anstrebt, dann muss diese Regierung auch dem Bürger mit einer Stimme sagen können, wie die Fakten aussehen. Dass hierbei nicht alles immer ganz eindeutig beantwortet werden kann, ist auch klar. Der Bürger ist aber berechtigt ärgerlich, wenn er, wie der Volksmund sagt, grob „hinters Licht geführt werden soll“. Der Bürger möchte und soll sich seine Meinung aufgrund einer unverfälschten Faktenlage bilden können. Dass er dies wünscht und sich dafür sogar aufopfernd einsetzen kann, ist an der Stuttgarter Bürgerbewegung im Zusammenhang mit diesem Projekt erkennbar..

Es ist also notwendig, dass die S21/K21- Kommission, welche die Koalitionsgespräche in dieser Sache führt, bald daran geht, eine gemeinsame Faktensicht in wichtigen Punkten herzustellen. Bei der Findung der gemeinsamen Faktensicht soll nicht der eigene Vorteil sondern die Redlichkeit als Maßstab gelten. Ich könnte mir vorstellen, dass die Annäherung in der Faktensicht die weiteren Verhandlungen erleichtert.


Hier führe ich noch zwei Beispiele an, die zeigen sollen, wie weit in ein und derselben Faktensache die Sicht der Für- und Widerseite auseinander liegen kann.

  1. Die Leistung des Tiefbahnhofes wurde lange Zeit von den Befürwortern von S21 als doppelt so groß wie die Leistung des Kopfbahnhofes angegeben. Herr Klingberg von der Bahn und entsprechend auch Herr Drexler als Projekt-Moderator haben aller Orts dies als Fakt behauptet. Beide haben sie sich auf die Berechnungen von Prof. Martin abgestützt. Nach dem Fakten-Check 2010 wurde diese Information jedoch als nicht richtig erkannt. Für den Tiefbahnhof konnte nämlich bislang für die vorgegebene Zugzahl kein fahrbarer Fahrplan vorgelegt werden. Für den Kopfbahnhof dagegen war dies möglich. Der Stesstest soll nun die Wahrheit ans Licht bringen, obwohl eine Teilnahme der Gegner am Test ausgeschlossen wurde. Ist das der richtige Weg?
Auch wenn Herr Schmiedel im heutigen Interview der Stuttgarter Zeitung auf die Frage: „Warum sperrt sich die SPD gegen die Variante [ ,die neue ICE-Trasse über das Neckartal an den Kopfbahnhof anzuschließen ], antwortet: „Ich kann doch keine Schnellbahntrasse in einen Sackbahnhof bauen. Die Idee ist eine pure Fata Morgana,“ dann wird deutlich, dass hier die Fakten wieder mal anstatt mit technischem Sachverstand mit technisch nicht begründeter Polemik untermauert werden sollen.

  1. Die Kostenverteilung von Stuttgart 21 auf die verschiedenen Projektpartner: Bild 1 zeigt die Aufteilung der Finanzierungsanteile nach Angaben der Projektbefürworter und

Bild 2 zeigt die Aufteilung der Finanzierungsanteile, welche auf der Basis der offiziellen Projektkosten von den Projektgegnern angegeben wird. Diese Ergebnis-Bilder werden in dem folgenden Video erläutert:
http://www.youtube.com/watch?v=O9Vn50G1uZ4&feature=player_embedded#at=27
Diese Kostenverteilung ändert sich noch bei steigenden Projektkosten (siehe Video).


Bild 1: :pastedGraphic
Bild 2 pastedGraphic

Ich hoffe, dass es den Koalitionären möglich ist, in der nächsten Zeit die Beurteilung der Faktenlage bei S21/K21 auf einen realistischen, ehrlichen Stand zu bringen.




em. Prof. Dr.-Ing. Manfred Fischer