Als Anhang: Seite aus Gutachten der Juristen zu S21
reinhart.vowinckel@web.de http://vowinckel.blogspot.com 18.03.2013
Sehr geehrter Herr Janssen,
in Ihrem Artikel „Münchhausencheck Das sind die Zahlmeister von Stuttgart 21“ vertreten Sie die Auffassung: „Es wäre fair, wenn das Land Baden-Württemberg und die Stadt Stuttgart einen Anteil an den Mehrkosten von Stuttgart 21 trügen. Schließlich haben sie der Republik die Sache mit eingebrockt.“ Das klingt fair, aber nur für solche Leser, die nicht viel über den Konflikt um S21 wissen. Sie haben einiges nicht auf dem Bildschirm. Deswegen ist Ihr Vorschlag unrealistisch. Die Geschichte wird über ihn hinweggehen. Eine faire Lösung wird es nur mit einem Projektabbruch geben. Ich will versuchen, Ihnen dafür Gründe zu zeigen.
I. SCHRECKEN OHNE ENDE ODER ENDE MIT SCHRECKEN?
1. Land und Stadt haben bereits einen Anteil der Projektkosten bezahlt, die Stadt eine halbe Milliarde, das Land eine Milliarde, und das bereits bevor das Projekt begonnen wurde und obwohl Bau und Unterhaltung von Bahnhöfen Bundes- und nicht Ländersache sind.
2. Land und Stadt sollen laut Vorstellungen der Bahn und des Bundes nicht nur einen Anteil an den nicht kalkulierbaren Mehrkosten übernehmen, sondern die gesamten Mehrkosten, auch die zwei Milliarden Mehrkosten, die der Aufsichtsrat der Bahn bereits genehmigt hat, also aller Wahrscheinlichkeit nach insgesamt einen zweistelligen Milliardenbetrag.
3. Die zu erwartenden Mehrkosten über die bereits festgestellten Kosten in Höhe von 6,5 Milliarden hinaus bewegen sich laut unabhängigen Experten in einer Höhe zwischen 10 bis 15 Milliarden mit Luft nach oben. Die können und sollten weder die Bahn noch Land und Stadt stemmen. Eine derartige Verpflichtung wäre in Zeiten der Staatsschulden- und Eurokrise unverantwortlich.
4. Ein Jahre, vielleicht auch Jahrzehnte andauernder „kalter Krieg“ zwischen Berlin und Stuttgart wäre beim Weiterbau vorprogrammiert, denn es geht um einen Betrug historischen Ausmaßes (s. u.).
5. Der entschlossene Projektabbruch mit Kosten von einer halben bis zu einer Milliarde auf beiden Seiten, also ein Ende mit Schrecken, würde dem Ansehen deutscher Ingenieurs- und Regierungskunst weniger schaden als die mit der Fortsetzung des Projekts verbundene Erosion des Respekts vor Bahn, Land und Bund, also ein Schrecken ohne Ende.
II. ANGST STATT RESPEKT
Sie, Herr Janssen, sehen den Konflikt noch allein von seiner materiellen Seite. Sie befürchten, dass die Bürger der Bundesrepublik für die Bürger Baden-Württembergs und Stuttgart 21 bluten sollen und bedienen damit auch Gefühle des Neides und der Missgunst. Klar, das muss und darf auch sein. Auch diese Gefühle gibt es nun einmal, und solche Gefühle haben auf der Seite der CDU als vertragsschließender Partei auch eine erhebliche, auch öffentlich bekannt gewordene Rolle gespielt. Z. B. bei dem CDU-Kreisvorsitzenden und Bundestagsabgeordneten und Mitglieds des Bundestagsverkehrsausschusses Stefan Kaufmann, dessen Glaubensbekenntnis zu S21 lautet: „Als Stuttgarter sage ich aber: Auch wenn es richtig teuer wird – wir sollten es machen. Wir zahlen Milliarden in den Länderfinanzausgleich. Jetzt kriegen wir einmal was zurück – und dann wollen wir es nicht haben.“ (Die Zeit online: „Vorbei aber nicht überstanden“) Er hat in seiner Begeisterung offensichtlich noch gar nicht mitbekommen, dass wir zahlen sollen und das nicht zu knapp, und nichts geschenkt bekommen. Aber derart desorientierte Politiker regieren uns.
Ich halte deswegen den immateriellen Schaden des Projekts für viel schwerwiegender. Wie sicherlich auch Sie wissen, geht es im inzwischen erreichten Stadium der Auseinandersetzungen um S21 eigentlich gar nicht mehr um das materielle Kosten-Nutzen-Verhältnis des Projekts, sondern um die Machtfrage. Die Regierenden meinen, unter allen Umständen recht behalten zu müssen, damit sie nicht ihre Autorität verlieren. Die Regierung Merkel und die Vertreter anderer Eliten bis zum Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Voßkuhle hinauf sehen in irrationaler Verkennung der Proportionen Deutschlands Weltmarkt- und Weltmachtposition und auch ihre eigene Position gefährdet durch den Anspruch deutscher Bürger auf Elemente direkter Demokratie, wie es sie z. B. in der Schweiz ganz selbstverständlich gibt. Sie sehen in ihnen Staatsfeinde oder zumindest potentielle. Statt Respekt haben sie Angst vor dem selbstbewussten Bürger. Deswegen betrügen Politiker lieber den Bürger und demütigen ihn dadurch, indem sie so seine Intelligenz beleidigen.
Die in Ansätzen bereits selbstbewusste Stuttgarter Protestbewegung vertritt demgegenüber das Recht der Bürger auf Mitgestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse auch über Parlamentswahlen hinaus. Sie setzt auf die stabilere, auf die nachhaltige Intelligenz des Kollektivs.
Es geht also beiden Seiten um ein Prinzip. Soll die Staatsgewalt auch vom „dummen“ bzw. für zu dumm gehaltenen Volke ausgehen, wie es die Verfassung vorsieht, oder nur von den „weisen“ und als Profis sich für allein kompetent haltenden Eliten? Deswegen versuchen die Parteien auch das Thema Demokratie und das heißt auch das Thema Fairness, also das wichtigste Thema weltweit, wie es sich auch bei S21 stellt, aus dem Bundestagswahlkampf herauszuhalten. Das wird ihnen jedoch nicht gelingen.
III. LUG UND BETRUG
Sie halten fest: „Die Planung des Projekts ist gemeinschaftlich von Bahn, Bund, Land und Stadt verabschiedet worden. Der mittlerweile grün-rot dominierte Stuttgarter Landtag wie auch eine Volksabstimmung Ende 2011 haben zudem den Verbleib das Landes im Projekt bestätigt.“ Alles richtig, aber vergessen Sie es, so radikal und hart das klingen mag. Das alles wird entwertet durch Lug und Trug sowie Inkompetenz der Protagonisten. Dazu einige Beispiele:
1. „ Die GRÜNEN und die SÖS hatten zu recht darauf hingewiesen, dass das Land nicht ohne Zustimmung des Gemeinderats die Ausstiegsklausel im Finanzierungsvertrag hätte vereinbaren dürfen (vergl. § 2.2 sowie § 8.4)… Die Ausstiegsklausel erlaubte der Bahn faktisch, das Projekt auch bei voraussichtlichen Baukosten von 4,546 Mrd. € ohne Risikopuffer auszuführen. Der Gemeinderat hatte aber 2007 nur einem Projekt mit Baukosten von 2,8 Mrd. € und einem satten Risikopuffer von 1,32 Mrd. € zugestimmt. Die Fraktionen wollten auf den Risikopuffer nicht verzichten und forderten, dass die Bahn ihre Kalkulation vorher abschließen sollte…(Dr. Schuster) erklärte(daraufhin), die Deutsche Bahn trage als Bauherrin das Risiko. (Stellungnahme vom 24.09.2009)“ (zitiert aus einem Gutachten der „Juristen zu Stuttgart 21“) So fegte der OB den Finger von der Wunde. Denn laut Vertrag trägt die Bahn ausdrücklich keinerlei Risiko (§ 2.2). Das tun ausschließlich Land und Stadt. Also Legitimität der Zahlungsverpflichtung der Stadt? Verlogenheit oder Inkompetenz des OB?
2. Im Finanzierungsvertrag sind die Übernahme irgendwelcher Kostenrisiken durch die Bund und Bahn sowie ein ordentliches Kündigungsrecht und ein Ausstieg aus dem Projekt ausdrücklich ausgeschlossen. So wurde die Unumkehrbarkeit für Land, Region und Stadt von Bund und Bahn rechtlich zementiert. Was jedoch nicht zementiert wurde, ist die Übernahme der Kostenrisiken durch Land, Stadt usw. Sie wird nur informell und verdruckst angedeutet in der sogenannten Sprechklausel. Diese Klausel ist im Kern ein von Land und Stadt für die Bahn ausgestellter Blankoscheck zur Kostendeckung für noch nicht einmal geplante Risiken. Die Bahn soll und will eben gerade keinerlei Mehrkosten zahlen für das, was sie anrichtet. Genau so wurde es von CDU, FDP und Bahn im Finanzierungsvertrag denn auch geplant. Peu à peu, ohne dass es den Bürgern auffällt, sollte der „Scheck“ eingelöst werden, so wie Grube jetzt nur „von Fall zu Fall“ und erst ab 2016 vor Gericht zu gehen droht, nachdem er wegen des Kostendeckels die Sprechklausel nicht mehr einfach „ziehen“ kann wie den Revolver.
Es ist der Kostendeckel der heutigen grünrosa Landesregierung, der wie eine gezogene Notbremse vor der von der schwarzgelben Vorgängerregierung vertraglich geplanten und aus Angst vor dem Bürger stümperhaft vereinbarten Erpressbarkeit des Landes schützt. Und darum geht es heute beim Konflikt um Stuttgart 21.
Auch Sie, Herr Janssen, können das bei genauem Hinschauen am Finanzierungsvertrag selbst nachprüfen. Wenn Sie mir das aber nicht abnehmen wollen, so lesen Sie vielleicht der Einfachheit halber die Stuttgarter Zeitung vom 15. diesen Monats. Dort wird, gestützt auf Dokumente aus der Ära Oettinger, berichtet, was MP Oettinger seinerzeit zu der hastigen Unterzeichnung des Finanzierungsvertrags veranlasste. Er wollte „keine langen Kostendiskussionen“: „Allein aufgrund der öffentlichen Debatte habe das Land großes Interesse am schnellen Abschluss der Finanzierungsvereinbarung. Sie mache das Projekt unumkehrbar und helfe, die verunsicherten Bürger auf die Seite der Befürworter zu bringen“. (http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.stuttgart-21-keine-silbe-kritik-zur-kostenexplosion.15c7ee32-faf7-4ce1-8261-6af41100117b.html)
Wenn auch Sie sich auf die parlamentarischen Legitimierungen des Projekts berufen, dann geht es um die Legitimierung genau dieses die Bürger betrügenden Finanzierungsvertrags. Wenn Sie sich das klarmachen, verstehen Sie auch, warum OB Schuster, ein halbes Jahr nach Unterzeichnung des Finanzierungsvertrags nichts wissen wollte von einem Antrag des Gemeinderates, den Vertragsabschluss noch einmal aufzurollen.
3. Auch Sie berufen sich darüber hinaus auf die Volksabstimmung (VA), ebenfalls ein betrügerisches Unternehmen, diesmal allerdings nicht einer CDU-FDP-Regierung, sondern einer grünrosa Regierung. Auf Grund der Bestimmungen der Landesverfassung blieb diese Abstimmung trotz einer Mehrheit pro Finanzierungsvertrag (gerade einmal 28,9 Prozent der Abstimmungsberechtigten!) rechtlich folgenlos und kann deshalb auch den Finanzierungsvertrag nicht noch einmal legitimiert haben. Sie hat kein Recht geschaffen. Außerdem wurde auch noch über eine Wahrnehmung von Kündigungsrechten abgestimmt, die es, wie bereits erwähnt, gar nicht gibt.
Aber vergessen wir das einmal. Gehen wir wie zuerst MP Kretschmann, dann die SPD, die CDU, die FDP und sogar die Justiz im Lande davon aus, die Volksabstimmung habe doch eine die Politik bindende Kraft, also „Rechtssetzungsmacht“ entfaltet. Dann müssen all die Genannten und auch Sie, Herr Jansen, auch dem von der Landesregierung verkündeten „Kostendeckel“ bindende Kraft beimessen. Die Abstimmenden durften auf dieses Versprechen vertrauen. Wo bleibt da die Identität der Entscheider und die Ihre?
IV. KOSTENDECKEL - STRICH DURCH DEN FINANZIERUNGSVERTRAG
Alle Projektbefürworter und Projektbetreiber berufen sich auf die in § 16 (10) vertraglich vereinbarte Projektförderpflicht. Aber diese Pflicht umfasst eben nicht auch die Pflicht, Mehrkosten zu übernehmen. Im Finanzierungsvertrag wird eine solche Pflicht in Form der Sprechklausel lediglich informell angedeutet, was von einem Gericht vermutlich lediglich als Absichtserklärung und nicht als Pflicht gedeutet würde. Der Grund für diese alberne Klausel dürfte in der Absicht der damaligen Landesregierung liegen, die Bodenlosigkeit des Fasses S21 vor den Bürgern zu verbergen. Und diese Blöße nutzt nun die neue Landesregierung mit ihrem Kostendeckel, vermutlich zum großen Verdruss auch der SPD-Führung im Landtag. Der Kostendeckel ist der Strich durch den schamlosen Finanzierungsvertrag.
Die Chuzpe, mit der hier das Volk für dumm verkauft wurde und wird, und nicht nur das Volk, ist nicht strafbar. Strafrechtlich haben wir gegen derartige Willkür nichts zu bestellen. Der einzige Weg, die Verantwortlichen zu „bestrafen“, so dass sie es heilsam fühlen ist: sie nicht durchkommen lassen mit ihrem Modelleisenbahnprojekt. Das täte ihnen sicher sehr weh. Mit dem Weiterbau und dessen Finanzierung aber würde der Betrug nur belohnt.