07.04.2008

Offener Brief

An
Herrn Prof. Dr.-Ing.Gerhard Heimerl
http://www.uni-stuttgart.de/iev/

Memory* 3


Ingenieurleistung



Sehr geehrter Herr Prof. Dr.-Ing. Heimerl,

am 24. März war ich in Botnang bei Ihrem ausführlichen Vortrag auf Einladung der CDU über Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Eisenbahn in Stuttgart im Zusammenhang mit dem Projekt S 21.

Vielen Dank für die schlüssige Darstellung mit Diagrammen und Fotos. Eine gewaltige Ingenieurleistung ist diese Planung gewiss. Ich habe bis jetzt noch nie eine so fundierte Darstellung von Seiten der Projektoren von S 21 gehört. Das hat mir imponiert. Eine Lebensleistung, die Achtung und Respekt abnötigt.

Aufgrund Ihrer überragenden Fachkompetenz hätten Sie nichts zu befürchten, wenn sachkundige K 21 – Befürworter mit Ihnen diskutieren würden. Oder doch? Zum Beispiel mit dem von Ihnen etwas ratlos erwähnten ehemaligen Bahnhofsleiter Hopfenzitz (
http://www.kopfbahnhof-21.de/index.php?id=77) oder Herrn Conradi. Bis jetzt geraten nämlich pro–S 21–Veranstaltungen zu einseitigen Werbeaktionen und können die Mehrheit der Bürger im Land nicht überzeugen.

So kommt es auch, dass aufmerksame Bürger immer wieder Fehler und Schwindeleien entdecken, die Flecken auf die einseitige Darstellung werfen und damit das ganze Projekt verdunkeln. Sie, Herr Prof. Heimerl, haben beispielsweise das Umsteigen im künftigen Tiefbahnhof als schneller und komfortabler bezeichnet, weil drei Übergänge zwischen den Gleisen vorgesehen seien, während man im Kopfbahnhof ganz nach vorn gehen müsse. Im jetzigen Kopfbahnhof ist jedoch auf halbem Wege eine Unterführung (allerdings ohne Rolltreppen und Aufzüge, wie es heute Standard ist und vermutlich im Focus auf S 21 unterblieben ist) also zumindest zwei Übergänge, wovon der eine unübertroffen bequem ist, weil sich alles auf einer Ebene abspielt. Dann gibt es noch die Unterquerungen von Post und Paketpost, die vielleicht nutzbar gemacht werden könnten.

Wenn Sie die künftigen Reisezeiten von Tübingen nach Stuttgart mit den seitherigen vergleichen, so ist es doch unredlich, die Regionalzüge mit Halt in Metzingen, Nürtingen usw. mit über 60 Minuten als Vergleichszeit zu nehmen und nicht den Regionalexpress, der nur 43 Minuten braucht. Bei allen Vergleichszahlen vom jetzigen Zustand auszugehen und nicht vom möglichen künftigen mit modernisiertem Kopfbahnhof samt Erweiterungen und Anschlüssen ist doch äußerst unfair und irreführend. Falsch war auch Ihre Ausführung, bei der Alternativ-Konzeption K 21 seien in den Kosten die Tunnel-Anschlüsse nicht einkalkuliert, es seien nur die Kosten des Bahnhofs.

Vor allem die Reisequalität bleibt bei S 21 auf der (Tunnel-)Strecke, davon ist bei Ihnen keine Rede gewesen. Ich zitiere aus dem „Memory 1“ an BM Hahn:

... Auch die vertrauten Züge (haben SIE nie Eisenbahn gespielt?) sollen künftig aus dem Stadtbild verschwinden und damit gleichzeitig die Stadt aus dem Blick und dem Bewusstsein der Reisenden. Fährt man mit der Bahn in Stuttgart ein, liegt die Stadt wie ein aufgeschlagenes Buch im Blick, jetzt soll dieses Buch zugeklappt werden. Zehntausende von Bahnfahrern gucken dann buchstäblich in die Röhre statt auf unsere schöne Stadt, Durchreisende bekommen gar nichts von Stuttgart zu sehen, die Stadt wird zu einem Haltepunkt, Reisequalität wird zu Reise-Fastfood. Das ist ein schlimmer Verrat an Stuttgart.…

Sehr geehrter Herr Professor Heimerl, auch Ihre Vorgänger in der Bahnhofskonzeption haben gewaltige Ingenieurleistungen erbracht, was Sie aber nicht positiv dargestellt haben am Beispiel der spektakulären Gäubahn-Bauwerke Rosensteinstraße mit Überquerung der Nordbahnhofstraße. Ein anerkennendes Wort dazu wäre schöner gewesen als alles nur als abbruchsreif (Oettinger „marode“) zu disqualifizieren. Viel wäre noch einzuwenden, vor allem die Grundhaltung der überkommenen Struktur gegenüber. „Was du ererbt von deinen Vätern hast / erwirb es, um es zu besitzen“ (Goethe). Nicht etwa alles abbrechen und ganz neu machen und dabei Bahnhof und Schlossgarten verschandeln. Wer ist denn dafür verantwortlich, dass die jetzige Bahnhofsstruktur „marode“ ist?

Immer größere Beschleunigung (auf Tempo 250) fast um jeden Preis braucht unsere Zeit nicht (das Desaster Concorde ist noch nicht ganz vergessen), sondern ein Qualitätsdenken, wo eine Zeitersparnis von drei Minuten weniger wiegt. Nach einer Erhebung von Stiftung Warentest sind die pünktlichsten Bahnhöfe Leipzig, gefolgt vonStuttgart. Hat hier die Praxis die Theorie widerlegt? Pünktlichkeit ist neben Bequemlichkeit beim Umsteigen der wichtigste Faktor für die Reisequalität.

Was Sie vor einem Jahrzehnt und noch weiter zurück bei Ihren Planungen noch nicht wissen konnten: ein moderner ICE hat WLan, also Internetanschluss. Der Geschäftsreisende kann seine Reisezeit mit konstruktiver Tätigkeit ausfüllen. Andere Durchreisende lesen oder schauen zum Fenster hinaus, sie wollen zum Beispiel etwas von Stuttgart sehen und nicht die Betonwände von Tunnels oder Rolltreppen, Anzeigetafeln und “Lichtaugen”.

Aber das alles ist bei Ihnen vermutlich in den Wind geschrieben und Sie mit dem Trio Oettinger-Schuster-Hahn wollen vielleicht in den Olymp des Bahnhofs- und Städtebaus aufsteigen. Das ist sehr menschlich. Es gibt auch einen Arnulf-Klett-Platz und eine Klett-Passage und nur wenige wissen noch, wie unselig dieser Mann gewirkt hat im Hinblick auf Städtebau und Verkehr. Sie haben also gute Chancen.

Mit freundlichen Grüssen

Siegfried Busch