Offener Brief
an Justizminister Stickelberger
im Justizministerium Stuttgart
Am Schillerplatz

S t u t t g a r t

Sehr geehrter Herr Minister Stickelberger,

der sogenannte „Wasserwerferprozess“ war unverzichtbar, weil auch er sich bemühte, dnter
der Fragestellung bzw. Anklage des § 340 StGB (Körperverletzung im Amt) zu ermitteln.

Von großem Interesse für die Öffentlichkeit wäre auch das vom unabhängigen Landgericht
gefällte Urteil gewesen.

Dieser konsequenten Aufarbeitung und diesem Urteil will sich nun das Stuttgarter Landgericht
mit der Einstellung des Verfahrens unter § 153 a StPO entziehen. Dies ist für die Öffentlichkeit
weder nachvollziehbar noch hinnehmbar.

Der Abbruch der Verhandlung, wobei noch 12 Zeugen gehört werden sollten und viele Details
zu klären gewesen wären, ist ein Skandal.

Was die Vorsitzende Richterin dazu bewogen hat, wissen wir nicht.

Was den Staatsanwalt dazu bewogen hat, dem zuzustimmen, wissen wir nicht.

Was Sie als Justizminister dazu bewogen hat, diesem Treiben zuzustimmen, wissen wir nicht.

Wohl aber wissen wir, welche Botschaft mit dieser Einstellung den Bürgern dieser Stadt und
weit über Stuttgart hinaus vermittelt wird.

- Körperverletzung im Amt (§ 340 StGB) gilt nicht für die Stuttgarter Polizei.
- Körperverletzung im Amt ist ein geringfügiges Verschulden.
- Körperverletzung im Amt wird in Stuttgart nicht verfolgt.
- Dies ist ein Freibrief für Körperverletzung durch Polizisten an Zivilisten.
- Am Stuttgarter Landgericht gibt es keine fairen Verfahren, wenn die Polizei im Spiel ist.
- Justitia ist in Stuttgart blind, wenn es um S21 und Polizisten geht.

Dies sind nur einige der vermittelten Botschaften durch den Abbruch des Verfahrens. Weitergehende
Fragen wären:

- Sind wir (noch) in einem Rechtsstaat?

- Sind wir (schon) in einem Polizeistaat?D

Diese Fragen könnten durchaus auch gestellt werden. Die Einstellung des Verfahrens verpflichtet
Sie, Herrn Justizminister, sehr wachsam zu sein, dass diese beiden Fragen nicht virulent
werden. Dann nämlich wäre der Frieden in dieser Stadt gestört und zerstört. Das will keiner.
Es ist durch S21 schon genug Unheil angerichtet worden.

Sie als Justizminister sind verpflichtet, das Stuttgarter Landgericht auf den Weg einer unabhängigen
Justiz zurückzuführen. Wenn nicht Sie, wer dann? Wenn nicht jetzt, wann dann?

Handeln Sie! Lassen Sie die Farce nicht zur Tragödie werden. Mit einer Einstellung dieses
Verfahrens würde weit mehr zerstört werden als die Hoffnung der Nebenkläger auf Aufarbeitung
des 30.9. und Würdigung ihres Leids. Die Zerstörung des Glaubens an einen Rechtsstaat
hätte verheerende Folgen.

Sollte tatsächlich wider alle Vernunft, wider alle Gerechtigkeit und wider alle Unabhängigkeit
der Justiz dieses Verfahren eingestellt und nicht wieder aufgenommen werden, so ergibt sich
daraus die Forderung, ALLE S21-VERFAHREN sofort einzustellen!

Es kann nicht angehen, dass Menschen im Zusammenhang mit S21/K21 bzw. „Parkschützer“
gnadenlos verfolgt werden, dass bei kleinsten „Vergehen“ (die sich zudem oftmals im Zusammenhang
mit GG Art. 8 abspielen) gegen sie ermittelt wird und dass permanent Prozesse gegen
sie geführt werden. Es widerspricht jeglichem Gerechtigkeitssinn und es widerspricht jeglicher
Form von Gerechtigkeit durch Stuttgarter Justiz, S21-Gegner zu kriminalisieren.

S21- Gegner sind nach der gleichen StPO und auf der Grundlage des Grundgesetzes zu behandeln
wie Polizisten. Sie als Justizminister wissen, dass dies derzeit nicht der Fall ist. Und
falls Sie es nicht wissen, so erwarte ich von Ihnen, dass Sie sich darum kümmern. Sie sollten
Informationen einholen, in welchem Maße S21-Gegner kriminalisiert werden, in welchem Ma-
ße sie mit Prozessen überzogen werden. Nicht-Wissen ist erklärbar, Nicht-Wissen-Wollen ist
sträflich und Wissen-Aber-Nichts-Machen ist ein Skandal.

Die Forderung ist: Einstellung aller Verfahren im Zusammenhang mit S21! Wenn Staatsanwalt
Biehl der Meinung ist, dass zwar ein strafbares Verhalten der beiden Angeklagten im
„Wasserwerferprozess“ vorliegt, er aber dennoch einer Einstellung zustimmt, so ist es nur
konsequent, alle Verfahren der im Zusammenhang mit S21 Verfolgten einzustellen. Menschen,
denen weitaus Geringeres als Körperverletzung vorgeworfen wird, haben ein Recht
darauf, genauso „gerecht“ wie ein Polizist behandelt zu werden, der Körperverletzung begangen
hat.

Herr Justizminister, Justitia ist keine Hure in Stuttgart, sondern eine schwäbische Hausfrau.

Petra Brixel