Rede vor dem Bürgertribunal und Prozessbericht von Nina Picasso
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Nina Liebe_Zuhoerer gekuÌrzt
Gerichtsbericht vom 22.12.2014 –
Revisionsverhandlung am OLG Stuttgart zum Freispruch wegen "Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte" der am Hals angeketteten Frauen am Südflügel/und Schlossgarten. Es ging bei dieser Verhandlung um die Nachprüfung in rechtlicher Hinsicht.
Myriam und ich waren mit unseren Anwälten zur Verhandlung erschienen. Unser Verhandlungssaal war am Landgericht im Saal 18 UG. Ich erwähne den Saal deshalb, weil das genau derselbe Saal ist, in dem die Wasserwerferprozesse stattfanden. Wir saßen genau auf derselben Anklagebank wie die zwei Polizisten der mittleren Leitungsebene, deren Verfahren wegen „geringer Schuld“ gegen Geldauflagen eingestellt wurden. Die gewaltsame Verletzung von hunderten Menschen, die nur ihr Versammlungsrecht wahrgenommen hatten-friedlich-wurden mit 16 bar beschossen und mit Pfefferspray und Schlagstöcken traktiert. Hier sprach man von geringer Schuld, obwohl diese Beamten den ganzen Tag am Geschehen waren. Hier war der Begriff „GEWALT“ nicht gewichtig.
Nun zu uns. Am Gerichtsverfahren Beteiligte waren 3 Richter (lustigerweise hieß ein Richter wie der derzeitige Bahnvorstand) und die Staatsanwältin. Dazu wir zwei angeklagten „Halsfesselfrauen“ und unsere Anwälte.
Zuerst verlas der Berichterstatter das Urteil und die Feststellung vom vorausgegangenen Prozess am Landgericht Stuttgart. Wir wurden ja bezüglich des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte für beide Fälle (Schlossgarten und Südflügel) freige-sprochen und erhielten nur eine Verurteilung wegen einer Ordnungswidrigkeit bei der Schlossgartenräumung.
Dann wurde festgestellt, dass die Staatsanwaltschaft (STA) Revision gegen das Urteil als solches eingelegt hatte. Die Staatsanwalt forderte die Rückweisung des Urteils und die Zurückverweisung an das Landgericht. Unsere Anwälte hatten nur Revision gegen eine Ordnungswidrigkeit eingelegt, da diese auch schon verjährt und damit nicht mehr gültig war und die Rückweisung der Revision der Staatsanwaltshaft. Der Richter beschloss, dass die Ordnungswidrigkeit nicht mehr Gültigkeit hatte.
Jetzt kamen die Plädoyers/Forderungen der Anwälte.
Die Staatsanwaltschaft: Sie stellte den Freispruch wegen Widerstands in Frage. Sie hielt es für einen Subsumptionsfehler, die zeitliche und räumliche Nähe von unserer Ankettung und dem eigentlichen Lösen der Ketten durch die Polizei einzubeziehen. Ihr war ausschließlich die Wirkung wichtig. Ihr reichte es, dass wir durch unsere Handlung das Wegbringen vom Versammlungsort erschwerten und dass das Lösen nur durch Geräte erfolgen konnte. Die STA nannte noch Urteile aus den Jahren 2008/ 2007, weiß aber jetzt nicht, welche gemeint sind. Die werden hoffentlich im schriftlichen Urteil benannt. Der Gewaltbegriff sei diesbezüglich Ankettungen schon seit Jahren nicht wegzuleugnen! Sie sieht den §113 als erfüllt an.
Verteidiger Hemeyer: Die Diensthandlung nach §113 war nicht rechtmäßig bzgl der Angelegenheit am Südflügel, da die Versammlung nicht ordnungsgemäß aufgelöst worden sei. Auch die Auflösung im Park entsprach nicht dem Vorgehen einer ordentlichen Auflösung im Sinne der Rechtsprechung des BVG. Hier sind ja noch Verfahren anhängig.
Der zweite Punkt war: Unvergleichbares darf nicht verglichen werden! Das Gericht zieht ein Urteil mit einem PKW-Fahrer heran, der sich, als die Polizei seine Personalien haben wollte, im Auto einschloss. Dieser Zweck war ein komplett anderer, als unsere Ankettaktionen, die rein dem öffentlichen Kommunikationszweck dienten, auf einen Missstand aufmerksam machten und uneigennützig waren. Die Ankettungen zeigten die innere Verbindung zu den bedrohten Südflügel und dem Park. Es ist in Deutschland einmalig, dass Ankettaktionen als Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte verurteilt werden sollen.
Die eigentliche dienstliche Handlung-das Loslösen der Schlösser haben wir nicht behindert, im Gegenteil, wir waren kooperativ. Also kein Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Unsere Ankettungen waren auch kein ernsthaftes Hindernis, waren sie doch schnell gelöst-eine Routine für die Beamten. Die Technische Einheit war ja schon in der Einsatzplanung impliziert. Die Polizei hätte uns doch auch schmoren lassen können. Unser Freispruch ist begründet.
Anwalt Zuleger: schloss sich Herrn Hemeyer an. Führte auch nochmal aus, dass unsere Aktionen symbolisch waren. Das die Friedlichkeit und die Motivation klar aus dem ZDF-Interview hervorgingen, eben unser symbolischer Schutz vor den unwiderbringlichen Zerstörungen. Er ging auch nochmal auf diese seltsame Auflösung der Versammlung ein, es hätte nicht geräumt werden dürfen.( Das bleibt aber noch offen, bis das vor dem VGH geklärt ist)
Bei der Vornahme der eigentlichen Diensthandlung hätten wir uns nicht gesperrt.
Die STA hält wieder dagegen, dass eine nicht unerhebliche Kraft aufgewendet werden musste, um uns zu lösen. (Hydraulischer Bolzenschneider für Bügelschloss, das andere Mal die Flex, einfache Bolzenschneider für die Ketten – unerheblich dass diese Teile schnell gelöst waren!) Es heißt auf gut Deutsch: Es ist Widerstand mit Gewalt! Es sei bundesgerichtliche Rechtsprechung (wobei man sagen muss, dass sich die Richter hier auf Nötigungsurteile bezogen, was hier nicht vorlag-wegen Widerstands wurde noch NIE jemand verurteilt!). Unser Tun hatte Auswirkungen auf die Polizei. Das Landgericht hätte das nicht berücksichtigt. Das Gericht meinte, die Polizei handelte formell richtig. Was sie sagt, gilt. Also wird das Ganze an das Landgericht zurückverwiesen. Es muss somit neue Feststellungen treffen.
So ungefähr habe ich das Ganze verstanden. Wenn die Urteilsbegründung schriftlich erfolgt, kann ich das mit entsprechenden Urteilen unterlegen. Wir Angeklagten durften auch noch ein paar Sätze am Schluss sagen, was wir auch taten.
Mein Kommentar dazu:
Man fasst es nicht, wie der Gewaltbegriff verzerrt wird. Ein einfaches Anketten sei Gewalt, irrelevant, ob man sich bei der eigentlichen Diensthandlung, dem Loslösen der Ketten durch die Polizei kooperativ verhält und auch noch den Aktionskonsens einhält. Man wird also bestraft, wie ein Krimineller. Die Strafe würde im Führungszeugnis stehen, obwohl es keine wirklich Geschädigten gibt. Die Bahn ist nicht geschädigt, die Firmen nicht und die Polizei ist im Bagatellbereich “geschädigt“. Die Polizisten selbst sahen sich überhaupt nicht als Opfer, sie sagten für uns aus!
Ich selbst sehe es so-(jetzt völlig „inhaltsneutral“ (!), ohne unsere Gründe, warum wir auf der Straße sind-der Richter urteilt auch inhaltsneutral):
Dass der Staat sich nicht auf der Nase herumtanzen lassen will kann ich akzeptieren. Dass er verhindern möchte, dass solche Aktionen „dauerhaft“ werden auch, es stellt eine Erschwernis dar. ABER: haben wir Angeklagten denn nicht mit der Zahlung der Polizeikosten, wenn sie uns in Rechnung gestellt wurden, nicht bereits eine Wiedergutmachung geleistet? Ich finde schon!
Dazu kommt doch auch noch die Ordnungswidrigkeit. Man hat durch die Ankettung es bewusst in Kauf genommen, dass man nicht „einfach so“ von einer aufgelösten Versammlung gehen kann. Also bekommt man ein Ordnungsgeld wegen dem Nichtverlassen der aufgelösten Versammlung. Auch ok. So tut man dem Staat genüge, weil man sich nicht ganz „korrekt“ verhalten hat, und das Volk kann auch gut damit leben. Für mich persönlich ein guter Kompromiss-es trägt zum Rechtsfrieden bei.
Wenn wir aber derart kriminalisiert werden, weil ein Gewaltbegriff unfasslich verzerrt wird (der Richter meinte zu mir, als Laie würde man das natürlich anders sehen!), kann ich nicht mehr von Rechtsfrieden sprechen. Wenn hier eine kleine Ankettaktion zu einer Straftat aufgebauscht wird, während der Staat hunderte Menschen ohne Not verletzen durfte und ohne wirklich Konsequenzen davonzukommen scheint und dazu eine Verhandlung abbricht wegen angeblich geringem öffentlichen Interesse wie beim Wasserwerferprozess, dann hat die Justiz jegliche Objektivität verloren und Bodenhaftung verloren. Sie hat sich vom Volk sehr weit entfernt, das in der Regel ein sehr gesundes Rechtsempfinden hat!
Das Gericht sollte auch nicht vergessen, dass wir nur deshalb vor Gericht stehen, weil es die Justiz höchst selbst versäumt hat, gleiches Recht weit im Vorfeld unserer Aktionen, herzustellen, indem sie alle rechtswidrigen Taten unter den Teppich kehrte, die von Seiten der Politik und Bahn begangen wurden! Für mich eine „strukturelle Gewalt“, die bis heute sehr viele Opfer gefordert hat und noch fordert!
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Foto-Doku und Prozessbericht Nina Picasso und Myriam Rapp
Aus BAA:
www.bei-abriss-aufstand.de/2014/01/27/landgericht-revidiert-skurrile-auslegung-von-gewalt/
Landgericht revidiert skurrile Auslegung von Gewalt
Publiziert am 27. Januar 2014 von Matthias von Herrmann
mit den Verteidigern
am Südflügel 13.1.2012
am Südflügel 13.1.2012
im Schlossgarten 15.2.2012
Räumung Schlossgarten 15.2.2012
Räumung Schlossgarten 15.2.2012
Fotos: Wolfgang Rüter
Wolfgang Rüter schickt uns diesen Bericht der Verhandlung am Landgericht Stuttgart im Prozess wg. Ankettens am Südflügel und im Mittleren Schlossgarten:
Landgericht kommt im Ankettungsprozess zu neuem Urteil
Am Dienstag und Freitag , 21. und 24. Januar 2014, wurde die Berufungssache zu den beiden Ankettungsprozessen am Südflügel und an einem Baum im
Mittleren Schlossgarten – Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte so der Strafvorwurf - neu in insgesamt über 15 Stunden verhandelt.
Der vorsitzende Richter am Landgericht Stuttgart, Rainer Gless, nahm sich die Urteile des Amtsgerichts Stuttgart akribisch vor und bewertete sie neu.
Ihm zur Seite standen zwei Schöffen. Sie wurden zu Beginn der Verhandlung vereidigt und schworen „soweit ihnen Gott helfe“. Die Angeklagten, Nina P. und Myriam R.
wurden von ihren Verteidigern RA Jürgen Hemeyer und RA Walter Zuleger begleitet. Die Staatsanwaltschaft war von StA Höschele vertreten.
Das große Interesse an dieser Berufungssache wurde von rund 40 ZuhörerInnen bekundet sowie von zwei Pressevertretern.
Auf justiziale Wachmeister verzichtete der Richter. Das auszugsweise Verlesen der Urteile des Amtsgerichts nahm der Richter u.a. auch deshalb vor,
damit sich die Schöffen ein Bild von den Vorkommnissen machen konnten.
In ihren hervorragenden Einlassungen legten die Angeklagten ihre Motive dar, wie sie zu ihrer Handlung kamen und weshalb sie diese ausführten.
Diese und auch andere Aktionen seien aber stets im Rahmen des Konsens des Aktionsbündnisses erfolgt. Sie waren sich außerdem bewusst,
dass ihre Aktionen weder den Südflügelbariss noch die Baumfällungen im Mittleren Schlossgarten verhindern könnten. Sie wollten aber mit ihren Aktionen
starke symbolische und medienwirksame Zeichen setzen. Plakate zu zeigen habe zu wenig Wirkung, eine Ankettung erzeuge da schon deutlich mehr Wirkung
und Aufmerksamkeit. So sahen die Angeklagten in diesen Aktionen die einzige Möglichkeit ihre enge Verbundenheit zum abrissgefährdeten Bahnhof und zu den
fällgefährdeten Bäumen zu zeigen, und die Presse deutschlandweit dafür zu interessieren, die sonst S21-Themen weitgehend ignorierten, insbesondere die Zeitungen
in und um Stuttgart. Dass das Amtsgericht und die Staatsanwaltschaft Stuttgart aus einer solchen Aktion aber Gewalt und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte
gemacht habe obwohl sich die Angeklagten durch ihre Ankettung in einer hilflosen Lage befanden, in die sie sich selbst gebracht hatten, sei nicht nachvollziehbar und unverständlich. Bei denjenigen, die hier auf der Basis von Lug und Betrug und Manipulation ein Projekt namens Stuttgart 21 betreiben, werde dagegen nicht ermittelt, geschweige denn ein Anfangsverdacht wegen Betrugs erhoben. Das sei schon merkwürdig und bezeichnend.
Die drei als Zeugen geladenen Polizisten, die einer technischen Einheit angehörten und die die Fahrrad-Bügelschlösser bzw. die Ketten lösen sollten,
mit denen sich die Angeklagten angekettet hatten, sagten unisono aus, dass sich die Angeketteten kooperativ verhalten und nicht gewehrt haben.
Das eigentliche Befreien der Angeketteten mittels eines Winkelschleifers / Freischneiders (Flexmaschine) habe nur ca. ½ bis 1 Minute gedauert
nachdem das Durchtrennen der Bügelschlösser mittels einfachem sowie hydraulischem Bolzen nicht möglich war. Der Zeitaufwand, also Vorbereitung,
Materialbereitstellung und Versuche hätten in einem Fall ca. 1 Std. und im anderen Fall ca. 10 bis 15 Min. gedauert.
Der zweite Verhandlungstag erfolgte im größeren Schwurgerichtssaal zusammen mit ca. 25 ZuschauerInnen. Es wurden mehrere DVDs angesehen. Dazu war eine Leinwand
und ein Beamer aufgestellt, sodass auch die ZuschauerInnen sich die Polizei-Videos mit ansehen konnten. Dem Staatsanwalt dauerte das alles zu lange.
Er fragte beim Ansehen der dritten DVD, ob man sich das alles nochmal wieder ansehen müsse. Darauf der Richter: Auf die paar Minuten kommt es auch nicht mehr darauf an.
In seinem Plädoyer sagte der Staatsanwalt er wolle es ganz kurz machen. Im Hinblick auf das Strafmaß führte er u.a. an, dass die Angeklagten „gute“ Bilder und Aufmerksamkeit erzeugen wollten und sie nur durch Polizeikräfte einer technischen Einheit zu lösen gewesen seien. Sie seien der Aufforderung,
sich vom Demonstrationsort zu entfernen, nicht nachgekommen, weil sie angekettet waren. Durch die Ankettung hätten sie verhindern wollen weggetragen zu werden.
Damit hätten sie Widerstand und Gewalt gegen Vollstreckungsbeamte geleistet und für das Losmachen sei ein erheblicher Aufwand erforderlich gewesen.
Er beantrage daher ein Strafmaß für Nina P. von 15 Tagessätzen a‘ 45 Euro sowie 40 Tagessätze a‘ 25 Euro, zusammen 50 Tagessätze a’45 Euro
und für Myriam R. 15 Tagessätzen a‘ 25 Euro sowie 40 Tagessätze a‘ 25 Euro, zusammen 50 Tagessätze a’25 Euro. Das
Amtsgericht hatte das Strafmaß zuvor auf 30 Tagessätze a’40 Euro bei Nina P. und auf 40 Tagessätze a‘ 25 Euro bei Myriam R. festgesetzt.
Verteidiger Zuleger führte in seinem Plädoyer u.a. an, dass im Winter 1946, wo die Menschen fast erfroren seien, kein einziger Baum im Schlossgarten angerührt wurde
im Vergleich zu den Fällungen eines alten Baumbestands im Februar 2012 im Mittleren Schlossgarten für ein umstrittenes Großprojekt,
wogegen seine Mandantin protestiere, genau so wie gegen den Abriss der beiden Seitenflügel des Stuttgarter Hauptbahnhofs.
Mit ihrem Ankettenketten sollte die Verbundenheit zu Bahnhof und Bäumen demonstriert werden. Im Übrigen sei von der Polizei nicht danach gefragt werden,
ob sie weggehen könne. Der Staatsanwalt verfolge in seinen Strafanträgen die sogenannte Stuttgarter Line.
Verteidiger Hemeyer meinte in seinem Plädoyer, dass er sich dem StA dahingehend anschließen könnte, es „ganz kurz zu machen“. Was die spektakuläre Aktion angehe,
so habe die Einlassung seiner Mandantin sehr gut aufgezeigt, was sie tatsächlich wollte. In Sachen S21-Protesten handelten Politik und in Fortsetzung die Justiz verantwortungslos. Urteile im Landgericht fielen deutlich anders aus als im Amtsgericht. So wurden zum Beispiel Bürgerrechte nicht beachtet.
Die Vereidigung der Schöffen habe er hier erstmals gehört, was einmalig ist. Zuletzt habe er das als Verteidiger vor 30 Jahren bei Prozessen gegen die Nachrüstung in Großengstingen erlebt. Dem StA hielt er vor, dass es seiner Mandantin um Aufmerksamkeit und nicht um die Verhinderung der Befreiung ging.
Außerdem seien die Aussagen der Polizei-Zeugen nicht gewürdigt worden. Im Übrigen habe man in Stuttgart einen Oberstaatsanwalt gehabt der Überzeugungstäter
und am 30.09.2010 sowie bei der Parkräumung in der Nacht vom 14. auf den 15.02.2012 selber vor Ort gewesen war. Wie zudem eine sich selbst in eine hilflose Situation gebrachte Person Gewalt ausgeübt haben soll, sei ihm schleierhaft. Nur Juristen reduzierten so etwas auf Gewalt. Das Sitzen auf der Straße sei keine Gewaltanwendung,
sondern in diesem Fall eine körperliche Meinungsäußerung und es wurde ein Bild erzeugt, was rührt. Auch wurde das Schlossentfernen nicht entfernt sondern gefördert.
Es fehle anscheinend hier die Fähigkeit zu unterscheiden, was das Anliegen war und ob sie nicht hätte wegführen lassen wollen. Seine Mandantin habe staatsbürgerliches Verhalten gezeigt. Und das soll Widerstand gegen die Staatsgewalt sein? Eine Kette durchzuflexen soll Nötigung und Gewalt sein? Das stoße bei Ihm auf Unverstand.
Die Verurteilung durch das Amtsgericht sei in keiner Weise nachvollziehbar und kein rechtstaatliches Gerichtsverfahren. Er beantrage daher einen Freispruch und die Aufhebung der ergangenen Urteile.
Nina P. in ihrem Schlusswort: Menschen sollten über Bilder nachdenken. Gewalt sei das, was Befürworter des Projekts S21 alles gemacht haben, nicht anders herum.
Die Menschen verstünden unter Gewalt zum Beispiel den ausgeübten Druck seitens der Bahn auf Stadt und Land in der Form, dass wenn erst einmal dieses
und jenes gemacht ist und das Geld dann nicht mehr reicht, weitere Forderungen gestellt werden. Ebenso werden Tausende von Polizeibeamte durch den Rahmenbefehl unzulässig beeinflusst. Demokratie in Stuttgart gibt es nicht. Sie habe etwas anderes kennen gelernt. Und in Deutschland gibt es im politischen Sinne zwar keine Diktatur,
wohl aber eine Wirtschaftsdiktatur.
Wehret den Anfängen, so Myriam R. in ihrem Schlusswort. Diesen Satz habe sie von ihrem Vater gehört und verinnerlicht. Er habe den Krieg erlebt,
mit ihr zusammen Filme angeschaut in denen gezeigt wird, wie Hitler an die Macht gekommen ist. Es erschrecke sie hier wie eine üble Straftäterin behandelt zu werden
wo andererseits gegen einen OStA Häußler, der für in Italien rechtskräftig verurteilte Kriegsverbrecher und ehemalige SS-Angehörige kein Verfahren eröffnet,
nicht ermittelt wird. Ihr Ziel sei es, ein starkes Bild in die Öffentlichkeit zu bringen und den Aktionskonsens des Bündnisses dabei einzuhalten. Sie fordere Freispruch.
Nun war der Richter mit seinen Schöffen nach über einstündiger Beratung mit der Verkündung des Urteils „im Namen des Volkes“ wie folgt dran:
Das Urteil des Amtsgericht werde abgeändert, weitere Urteile die inzwischen verjährt sind werden aufgehoben bzw. ergeben einen Freispruch.
Das Strafmaß wird zu einer Ordnungswidrigkeit mit 200 sowie 150 Euro herabgestuft. Den Angeklagten werden ¾ der Gerichtskosten erlassen.
In seiner Begründung führte er aus, dass Gegenstand des Urteils nicht die Sinnhaftigkeit, sondern was sich die beiden Angeklagten bei Ihrer Aktion dabei gedacht hätten.
Bei diesem Urteil handle es sich um eine Einzelfallentscheidung und nicht um eine Generalisierung. Der Sachverhalt sei weitgehend unstreitig.
Gleichwohl hätten beide nach bedingtem Vorsatz gehandelt. Ihr Ziel sei es gewesen eine Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeitswahrnehmung zu erlangen
da eine Verhinderung des Abrisses des Südflügels und die Baumfällung im Schlossgarten nicht möglich war und das unter unwirtlichen Bedingungen.
Beweiswürdig sei, dass sie den Sachverhalt eingeräumt und keine Gewalt ausgeübt haben. Als Schwerpunkt in der rechtlichen Würdigung könne das Landgericht
entgegen der Ansicht von Staatsanwalt Höschele keine zeitliche und räumliche Nähe der Aktion erkennen. Die Angeklagten hatten sich lange vorher angekettet.
Wenngleich das Einsetzen lediglich des eigenen Körpergewichts (Hinsetzen) keine Gewalt ist so könne das Verstärken, wie hier mit einem Bügelschloss, Gewalt sein.
Rechtswidrig ist eine Tat nach § 240/2 (Nötigung), wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist. Das sei hier aber nicht der Fall gewesen. Die Polizisten mussten hier zwar eine Barriere überwinden, aber es war nicht Zweck sich abflexen zu lassen, sondern es ging den Angeklagten um die Aufmerksamkeit. Deshalb musste hier eine Verwerflichkeitsprüfung erfolgen. Auch hinsichtlich der Abwägungselemente seien die Auswirkungen gering gewesen.
Für die Polizei war es ein Routine-, nur ein Bagatellfall. Da die Angeklagten über gut 6 Stunden in diese Lage festsaßen, waren sie selbst weitaus mehr betroffen.
Die äußere Gestaltung ihrer Aktion erfolgte in engem Zusammenhang mit dem Projekt ohne eigennütziges Ziel. Somit war die Aktion nicht verwerflich,
nicht rechtswidrig und nicht kriminell. Die Aktion der Südflügelankettung vom 13.01.2012 liege über zwei Jahre zurück und sei damit verjährt.
Beide Angeklagte werden in diesem Fall freigesprochen und die Urteile aufgehoben. Die Ankettung an einen Baum im Schlossgarten vom 15.02.2012
sei keine Versammlung sondern nur eine Ansammlung gewesen. Dabei hätten sich beide selbst in eine Nichtentfernungsmöglichkeit begeben und das sei ordnungswidrig.
Zudem hätten beide ein erhöhtes persönliches Opfer erbracht. Das Strafmaß wurde vom Richter auf 150 bzw. auf 200 Euro festgesetzt.
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Nina Picasso und Myriam Rapp vor Gericht Januar 2014
Die „Halsfesselfrauen“ am Südflügel und bei Parkräumung
End-Picasso-Einlassung Berufungsverhandlung Anketten Park SuÌdfluÌgel-Hem
End-Picasso-Schlusswort Berufungsverhandlung Anketten-Hem
Myriam Einlassung - Schlusswort Berufungsverhandlung Ankettung 2014
Gerichtsbericht :
Berufungsverhandlung 21.01. und 24.01.2014. Zur Anklage stand: Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte auf Grund zweier spektakulärer Ankettaktionen am Südflügel des Hauptbahnhofs und an einem Baum im Stuttgarter Mittleren Schlossgarten 2012. Beide standen kurz vor der Zerstörung im Zuge von Stuttgart 21 durch den Konzern Deutsche Bahn AG.
Myriam und ich waren diesmal aufgeregter als sonst, denn wir waren ja diesmal einer „Gewalttat“ angeklagt, obgleich die Polizeibeamten in der vorhergehenden Amtsgerichtsverhandlung zu unserem Gunsten ausgesagt hatten.
Auf diesem Wege möchte ich allen herzlich danken, die uns in welcher Form auch immer unterstützten! Das macht Mut! Natürlich auch unseren bombastischen Anwälte Herr Hemeyer und Herr Zuleger!!!! Ich möchte auch dem Landgerichtsrichter danken, für seine intensive Auseinandersetzung mit der Thematik, für seine unaufgeregte Verhandlungs-führung – er verzichtete u.a. auf eine sitzungspolizeiliche Verfügung und Wachtmeister. Er ließ sogar extra Stühle aufstellen, damit alle Interessierten der Verhandlung beiwohnen konnten. Ich danke auch den Schöffen, die offen und interessiert zu der Verhandlung beitrugen. Und summa summarum danken ich der Presse für die faire Berichterstattung.
Erster Verhandlungstag, Beginn 9:00: Am Anfang wurden zunächst die Schöffen vereidigt. Dann verlas der Richter unsere Verurteilungen vom Amtsgericht, er stellte unsere Anwälte vor und dass Myriam und ich rechtzeitig Berufung gegen das Urteil eingelegt hätten. Er wies uns vorsorglich darauf hin, dass im Falle eines Schuldspruchs auch Nötigung in Betracht käme. Der Verteidiger hielt das für unzulässig. Begründung: Dann gäbe es keinen Nötigungsparagraf mehr. Jede Person, bei der die Polizei eingreifen muss, könnte dann wegen Nötigung angeklagt werden. Es sei ein Denkfehler in der Übertragung der Blockadesituation auf jegliches Eingreifen der Polizei. Der Richter nahm den Einwand zur Kenntnis. Es folgte die förmliche Belehrung an uns, dass wir, wenn wir möchten, uns zur Sache äußern könnten. Na klar wollten wir! Ungewöhnlich war, dass er uns beide intensiv zu unserem beruflichen Werdegang usw. befragte. Er wollte ein umfassenderes Bild von uns haben.
Dann wollte er wissen, was unsere Intension war. Wir beide sagten, dass Ziel der Aktionen war, ein starkes und friedliches Zeichen setzen zu wollen, wir wollten unsere Verbundenheit mit dem Südflügel und Bäumen zeigen, wir wollten Medieninteresse zur Sache wecken. Wir wollten Aufmerksam machen, auf das große Unrecht der Politiker und dem Konzern DB AG. Nur mit einem Plakat hätten wir das nicht geschafft. Wir waren auch bereit, Nachteile in Kauf zu nehmen. Wir wussten genau, dass wir die Zerstörung nicht verhindern konnten. Natürlich erfolgte die Frage nach dem Schlüssel, dazu machten wir keine Angaben. Dann fragte der Richter ganz akribisch nach der Dauer der Befreiungen durch die Polizei (Technische Einheit – TE). Die Frage der Befreiungsdauer spielt wohl eine sehr große Rolle. Wir konnten versichern, dass das eigentliche Lösen der Schlösser je max. eine Minute dauerte. Er fragte auch, was wir zuvor alles versucht hatten, bevor wir zu dem Mittel der Aktion griffen. Wir erzähltem ihm das entsprechend. Wir machten aufmerksam, dass sämtliche demokratischen Mittel nichts bewirkten und viele Anklagen gegen den Konzern DB AG und an die Politik schon durch die Weisungsgebundenheit der Staatsanwaltschaft chancenlos waren. Auch der Rahmenbefehl ist einseitig ausgelegt.
Was uns erstaunte, aber auch freute, war, als er uns fragte, wie es uns während der Aktion ging. Wir konnten ihm erzählen, dass es sehr anstrengend war. Am Südflügel mussten wir stundenlang fast bewegungslos stehen und es war kalt. Bei der Aktion im Schlossgarten saßen wir Stunden auf einer unbequemen Baumwurzel, es war Schneeregen, wir waren durchgefroren. Wir wurden nochmals gefragt, wie wir uns den Polizisten gegenüber verhielten. Dazu konnten wir sagen, freundlich, neutral und wir haben uns nach den Anweisungen der Polizei verhalten. Wir betonten auch, dass wir uns immer auf den Aktionskonsens berufen-Myriam las ihn sogar vor. Jetzt durften wir beide unsere Einlassungen verlesen. (Die Einlassungen dazu findet ihr als Link oder Anhang je nach Art der Veröffentlichung). Nach dem Verlesen erhielten der Richter die Einlassungen, auch der Staatsanwalt und die Schöffen. Die Schöffen, nur nochmals zu Erinnerung, haben je eine gleichberechtigte Stimme wie der Richter!
Dann stellte der Richter nochmals fragen. Es ging übrigens auch nochmals um die Frage, der nicht rechtswirksamen Auflösung der Versammlung im Schlossgarten. Für uns war aber die Frage, ob unsere Ankettaktion Gewalt ist gewichtiger, als die nicht rechtmäßige Auflösung der Versammlung. Für die Bußgeldangelegenheiten war die Frage der Rechtmäßigkeit wichtiger!
Wir wurden gefragt, ob sich unsere Aktionen gelohnt hatten. Beide konnten wir es bejahen, da die Bilder bundesweit gezeigt wurden und der Protest gegen das Projekt weiter bekannt war. Und wie der Konzern DB AG unsere Kulturgüter weiter zerstörte.
Es wurden drei Polizisten der Technischen Einheit als Zeugen geladen, die nochmals die Vorgänge schilderten und die Witterungsbedingungen. Sie wurden immer gefragt, wie wir Angeklagte uns verhalten hatten. Sie bezeugten immer, wir waren kooperativ, nicht beleidigend usw. Sie wurden auch gefragt, wie unseren Protest und unser Ziel einschätzten. Sie sagten aus, dass sie sich vorstellen konnten, dass wir unsere Verbundenheit ausdrücken wollten, unsren Protest gegen das Projekt, es gibt vielfältige Formen der Meinungsäußerung.
Sie wurden übrigens auch gefragt, ob für sie als Polizisten das Wegtragen von Demonstranten nicht beschwerlicher wäre als so ein technisches Lösen von Bügelschlössern? Das bejahten sie durchaus., obgleich sie gar nicht in die Verlegenheit geraten, da das Wegtragen von Demonstranten die Hundertschaften/BFE-Einheiten übernehmen müssten.
Nach der Befragung ging es in die Mittagspause. Eigentlich wollten wir alle Polizeivideos anschauen, aber das ging nicht. Also wurden ALLE Allgemeinverfügungen vorgelesen. DAS ganze dauerte ca. 2 Stunden! Mühsam für alle. Was uns ganz arg aufstieß, war der Wortlaut in den Verfügungen, auch in Punkto Zeltstadt, dass das dazu diente, um den Erholungsraum Mittlerer Schlossgarten wiederherzustellen. Dieses ZYNISCHE Statement seitens der Stadt!!! Diese gesamte Fläche komplett zerstören – dient das der Erholung????
Erster Gerichtstag gegen 17:00 zu Ende
Einlassungen und Schlusswörter:
https://www.wuala.com/Fotos%20aus%20Stuttgart/Einlassungen-Schlussw%C3%B6rter%20Berufungsverhandlung-Ankettaktionen_Stuttgart21/
Zweiter Verhandlungstag: Beginn 9:00:
Wir durften in den großen Schwurgerichtssaal wegen der großen Videoleinwand und aus Platzgründen. Es war schön, dass auch die Zuschauer die Polizeivideos sehen konnten.
Der Richter wies uns diesmal vorsorglich darauf hin, dass wir im Falle einer Verurteilung damit rechnen müssten, dass wir möglicherweise wegen Nichtverlassen einer aufgelösten Versammlung und wegen einer unerlaubten Ansammlung (?) zu einer Ordnungswidrigkeit verurteilt werden könnten. Dieser Hinweis gab uns schon einen Hoffnungsschimmer!
Jetzt schauten wir alle Polizeivideos an, vom Anrücken der ganzen Polizeieinheiten bis hin zum Loslösen unserer Schlösser. Es waren viele Momente , die sehr sehr traurige Erinnerungen weckten. Die letzten Bilder vom Mittleren Schlossgarten und vom Südflügel, die durchaus gespenstigen Bilder der Polizei-Hundertschaften, die in Bussen anreisten usw. Aber auch die schönen Momente, als wir nochmals verfolgen konnten, wie viele Menschen in den kalten Nächten ausharrten bis zum Moment des Wegführen oder Wegtragens oder wie bei uns, als wir endlich von den Schlössern befreit wurden. Speziell die zwei Beamten Technischen Einheit aus Lahr waren supernett!
Interessant war eine Aussage eines Beamten, der einen Sitzblockierer wegtragen musste: Er wies darauf hin, dass das Wegtragen gefährlicher ist, weil es rutschig war (Schneeregen-Schlossgarten).
Es gab noch einen kleinen unerwarteten Beweisantrag. Einen Zeugin sagte aus, dass der alternative Versammlungsort durch die Polizeisperren nicht zugänglich war. Letztlich berief sich aber das Gericht darauf, dass man es über Umwege erreichen konnte, wenn diese auch länger waren.
Es folgten die Plädoyers.
Zunächst der Staatsanwalt: Unser Ziel sei vorrangig gewesen, nur von der Polizei geräumt zu werden. Er bezog sich auch auf die Aussagen, das würde gute Bilder geben. Und Preis-Leistungsverhältnis wäre gut gewesen. Es wäre keine politische Aussage. Die Sachverhalte der Aktionen stehen fest, wir hätten diese eingeräumt. Es war eine Gewalthandlung, wenn auch nicht im herkömmlichen Sinne von körperlicher Gewalt. Wir wollten die Diensthandlung der Polizei verhindern. Es wäre kein passiver Widerstand gewesen.
Zugunsten von uns: die Tat wäre zwei Jahre her, zu dem damaligen Zeitpunkt waren wir nicht rechtskräftig verurteilt, wir waren kooperativ und hatten einen erheblichen Aufwand gehabt. Er forderte Strafen von 50 (!) Tagessätzen zu je 40,- bzw. 25,- Euro.
Plädoyer Zuleger: Er erzählte, wie trotz Krieg und kalter Winter die Menschen die uralten Bäume nicht fällten. Er erzählte, wie erst durch spektakuläre Aktionen der Protest gegen das unsinnige Projekt überhaupt bekannt wurde. Er schilderte wie Myriam im ZDF aussagte, dass wir durch unsere Ankettaktion nichts verhindern könnten, aber aufmerksam machen konnten. Er schilderte nochmals die nicht rechtmäßige Auflösung der Versammlung am 15.2.
Herr Zuleger sagte, dass es bundesweit einmalig ist, Angekettete wegen Widerstands verurteilen zu wollen, es war aber ein passiver, stiller Protest, er zeigte nur die Verbundenheit mit den zu zerstörenden Kulturdenkmälern und Bäumen. Wir verhinderten nicht die Diensthandlung der Technischen Einheit! Für den Fall einer Verurteilung wegen Widerstands stellte er einen Hilfsantrag zu der Angelegenheit 15.2. Allgemeinverfügung.
Anwalt Hemeyer schloss sich dem Antrag an.
Plädoyer Hemeyer: Er sagte, die Mittel des Protests waren verhältnismäßig, wir wollten damit dem Protest Gewicht verleihen und tiefen Eindruck hinterlassen. Dieses Verfahren belegt eindeutig die „Stuttgarter Linie“. Die Filme zeigten das martialische Aufgebot der Polizeieinheiten-fast militärisch. Das ist die Antwort der Politik auf friedliche Proteste-ein Projekt mit großer Gewalt durchsetzen. Hier in Stuttgart wird fortlaufend das Bundesverfassungsgericht ignoriert .Er bezog sich dabei auf die Urteile des Amtsgerichts. Wir haben Medienresonanz erreicht. Er nahm nochmals Bezug auf die Rolle von OstA Häussler, der am 30.09. ungerührt zusah, wie ein Rechtsbruch nach dem anderen gegen Kinder und Jugendliche und alle friedlichen Menschen begangen wurde. Häussler sei so gesehen ein Überzeugungstäter der Stuttgart Linie, die bundesweit einmalig ist. Ankettaktionen als Widerstand zu werten. Es war keine Gewalt, wir waren es doch, die in einer hilflosen Situation waren-man hätte mit uns alles machen können. Wir leisteten auch nach der Loslösung keinen Widerstand. Es ist eine nonverbale Aktionsform. Es war auch keine Nötigung-die eigentliche Loslösung ging sehr schnell. Es geht hier auch um die Gewichtung, welche Grenzen staatsbürgerliches Verhalten hat. Der §103 Abs. 2 sagt eindeutig, man kann nicht für etwas bestraft werden, wo es-salopp ausgedrückt-gar kein Gesetz gibt. Er führte aus, was hier die Justiz für unglaubliche Vorgänge und Rechtsbrüche seitens der Projektbetreiber und des Staates durchgehen lässt (u.a. 30.09.). er verwies nochmals auf Brokdorf, Wackersdorf usw. Er erzählte von Gerichtsverhandlungen, in dem die Schöffen den Richter überstimmten, als es um die Bestrafung von Aktivisten ging. Herr Hemeyer berichtete aus seinen Beispielen in Bezug als Anwalt von Aktivisten in der Zeit von Brokdorf und Wackersdorf und nahm zu unseren Fällen Bezug. Ein sehr schönes Plädoyer.
Beide Anwälte beantragten Freisprüche.
Jetzt durften Myriam und ich die Schlusswörter verlesen. Von Myriam möchte ich ganz explizit einen Satz hervorheben: WEHRET den ANFÄNGEN! Unsere Demokratie ist durchaus durch den Neoliberalismus gefährdet. Stuttgart 21 ist ein Beispiel davon. Die Lebensgrundlage unserer Kinder wird immer weiter zerstört. Die Konzerne werden immer mächtiger.
(Schlusswörter – Einlassungen im Anhang oder als Link)
Nach der Mittagspause wurde das Urteil verkündet: (Anmerkung meinerseits! Dieses Urteil ist nur aus meinem Gedächtnis heraus geschildert! Ich bin Nichtjuristin! Die schriftliche Urteilsverkündung folgt in einigen Wochen)
Der Richter betonte zuvor ausdrücklich, dass unsere Fälle Einzelfallentscheidungen sind! Dazu sagte er auch, dass dieses Urteil die rein rechtliche Geschichte beleuchtet und nicht das Projekt S21 selbst - ist auch klar! Er muss sein Urteil inhaltsneutral fällen. Nichtsdestotrotz fanden unsere Einlassungen und Schlusswörter große Gewichtung, weil sie deutlich machten, dass wir sehr viel Zeit und Engagement gegen das Projekt reinsteckten....
Myriam: Umwandlung der Anklage Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte gegen eine Ordnungswidrigkeit wegen Nichtverlassen einer aufgelösten Versammlung und unerlaubte Ansammlung. Bußgeld 150 Euro und ein Anteil an den Gerichtskosten muss getragen werden. Bei mir sagte er dasselbe, nur mein Bußgeld betrug 200 Euro, weil ich mehr verdiene.
Er sagte, dass wir keine Kriminalstraftat begangen hatten. Unsere Ankettaktionen dienten einzig und alleine dem Kommunikationszweck und nicht dem Zweck, dass wir uns nur von der Polizei räumen lassen wollten. Er sagte auch, dass wir natürlich nicht die Fällungen oder den Abriss verhindern wollten, das sei klar illusorisch gewesen, das wussten wir.
Unsere Aktionen erfolgten zeitnah mit den kommenden Fällungen und Abriss. Wir hatten unsere Taten eingeräumt, nur einzig in der Frage der Schlüssel „verhielten wir uns auffällig wortkarg“. Wir handelten ausdrücklich nach dem Aktionskonsens. Auch wenn wir vielleicht nicht die Versammlungsauflösung verstehen konnten, so sind wir doch so erfahren, dass wir wissen, dass wir die Versammlung verlassen mussten, aber das hatten wir eh durch die Ankettung und der fehlenden Schlüssel nicht tun können, deshalb bedingter Vorsatz. Er führte nochmals die Ausführungen der Polizisten an: Einsatz war Routine, rascher Einsatz, wir waren nicht abweisend oder beleidigend, wir waren kooperativ, sie hatten den Eindruck, Protest ist auf öffentliche Aufmerksamkeit gerichtet.
Schwerpunkt ist hier die rechtliche Würdigung des Widerstands §113. Er führte den Normalfall vor Augen. Ein Mensch, der von der Polizei festgenommen werden soll ist in einem psychischen Erregungszustand, er wehrt sich z.B. durch Festhalten an einem Gegenstand. Es ist die Lex Specialis vor der Nötigung, die härter bestraft wird. Der Widerstand bedingt aber einen „Kontaktbereich“ zwischen Polizist und Beschuldigten. Auch die zeitliche Nähe ist wichtig. Beides war bei uns nicht der Fall, wir waren Stunden vor dem eigentlichen Polizeieinsatz angekettet. Großaufgebot war weit entfernt. In beiden Fällen kam die Hilfe erst ca. 6 Stunden später. Zudem sei im Video ersichtlich gewesen, dass wir beide erleichtert waren, endlich befreit zu werden.
Es wurde die Nötigung überprüft:
Eine Vorbemerkung des Richters: Der Gewaltbegriff im juristischen Sinn ist anders bewertet als im landläufigen Sinn. Wir unterlagen einem Subsumtionsirrtum, wir betonten mehrfach, wir hätten keine Gewalt ausgeübt.
Laut einem BVG-Urteil von 24.10.2001 , 104 Seite 92 (?) wurde durch die physische Barriere im juristischen Sinne Gewalt ausgeübt. Er sagte aber auch, dass das nach wie vor umstritten ist. Also hätten wir im juristischen Sinne Gewalt ausgeübt.
Jetzt kam aber die Frage der Verwerflichkeit, erst dann ist das Straftatswürdig. Es ist eben nicht automatisch rechtswirksam. Er bewertet die Ankettung inhaltsneutral.
Unser Zweck der Ankettung war eindeutig der Kommunikationszweck! Es war keine „Selbstjustiz“, nur wenn es möglich gewesen wäre, direkt eine Baumfällung zu verhindern, wäre die Verwerflichkeit im strafrechtlichen Sinne gegeben gewesen. Bei uns war dieses Ansinnen aussichtslos. Unsere Art und Auswirkung der Ankettung war vergleichsweise gering, es hatte Bagatellcharakter, so schilderten es auch die Polizisten., mögliche Auswirkungen auf die DB, keine. Etwaige geringe Nachteile, sozial adäquate Nebenfolgen sind zu billigen. Wir waren aber ratz fatz losgelöst. Er sagte, wir waren selbst in viel höherem Maße betroffen, da wir Stunden in der Kälte ausharren mussten, einem menschlichen Bedürfnis (Toilettengang) nicht nachkommen konnten. Unsere Aktionen waren in engem sachlichen Zusammenhang und wir handelten uneigennützig.
Er führte nochmals Beispiel-Urteile an.
Für ihn liegen die niedrigste Sanktionsstufe - Ordnungswidrigkeiten vor- da der Fall Südflügelankettung bei Ordnungswidrigkeiten bereits verjährt war, hatten wir nur für die Parkankettung das Bußgeld erhalten.
Was ich interessant fand war die Aussage des Richters, dass ja Bußgelder in diesem Fall bis zu 1000 Euro betragen könnten. In unserem Fall, so meinte er, hätten wir erhebliche persönliche Opfer gebracht, weil wir so lange relativ bewegungslos in der Kälte und im Falle des Parks im Schneeregen ausharren mussten. Das hat er in die Höhe der Bußgelder eingerechnet.
Der Richter machte alle Seiten darauf aufmerksam, dass man ab jetzt nur noch Revision einlegen kann.
Das Urteil haben alle als „im Namen des Volkes“ empfunden. Myriam und ich sind sehr froh darüber!
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